K. hatte in seinen Jugendjahren wahrscheinlich wirklich nur eine einzige Leidenschaft und das war Fußball. Er war auch etwas vorbelastet durch seinen Vater, der es vom einfachen Kassier über den Sektionsleiter bis zum Obmann des örtlichen Fußballvereines gebracht hatte, und daher entstand bald eine ganz natürliche Beziehung zu diesem Sport wo 22 Personen mit äußerster Entschlossenheit einem einzigen Ball nachlaufen – warum gibt man nicht jedem einen dachte K. zu Beginn.
Bald begriff er aber die gesamte Problematik und Dramatik dieses Sports, er versuchte die Regeln zu verstehen und freute sich ganz besonders, wenn ihn sein Vater der „Big Boss" des Vereines zu diversen Handgriffen heranzog: die Plakate für das Meisterschaftsspiel am Wochenende waren zu schreiben und an den strategisch wichtigen Plätzen anzubringen, der Rasen war zu mähern, die Linien waren vor dem Spiel sorgfältig zu markieren und auch die Netze waren an den Toren anzubringen. Während des Spiels mußte die Matchuhr kontrolliert und zumindest in der Halbzeit nachgestellt werden und die Aluminiumtaferln, die jederzeit den Spielstand anzeigen sollten, mußten ebenfalls nach jedem Tor ausgetauscht werden.
Zählen konnte er ja schon ganz gut aber ein 0:1 war für ihn dasselbe wie ein 1:0 und so bekam er immer Probleme mit seinem Vater, der einfach nicht verstehen konnte, daß sein einfältiger Sohn einfach nicht mitbekam welche Mannschaft das Tor geschossen hatte, wer eigentlich die Heimmannschaft war und daß die erste Zahl immer für die Heimmannschaft stand. Irgendwann verzichtete man ganz auf die Tafeln, denn die wenigen Zuschauer wußten den Spielstand ohnehin ganz genau, erfuhren ihn von den anderen oder lehnten an der Kantine und bekamen das Spiel ohnehin nicht mehr richtig mit. Auch die Matchuhr hatte ihren Geist aufgegeben und für eine Reparatur fehlte das Geld – K. saß aber trotzdem noch immer auf der kleinen Holzbank unter der großen Matchuhr und verfolgte immer interessierter das Geschehen am Rasen.
Irgendwann war er dann mit den Regeln so vertraut, daß er bei den unwichtigen Spielen der Reservemannschaft sogar als Linienrichter herangezogen wurde, was die wenigen Zuschauer entweder zu Lachsalven hinriß oder zu Zornesausbrüchen veranlaßte: K. der in der Regel immer sehr weit weg vom Geschehen war hob meist dann die Fahne, wenn der Ball noch gut einen Meter im Feld war - er hatte immer die Angst den entscheidenden Moment zu versäumen, in dem der Ball die Linie mit seinem gesamten Umfang überschritten hatte. Wenn man ihn dann genug beschimpft hatte kehrte sich dann das ganze ins Gegenteil um: um seine Fehler von früher zu kompensieren ließ er dafür manchmal weiterspielen wenn der Ball gut einen Meter über der Linie war – nur wenn die 2m entfernte Bande mit den Werbetafeln errecht war und der Ball deutlich hörbar dagegenknallte stand auch für K. eindeutig fest: der Ball ist im Out und er schwang die Outfahne wildgestikulierend Richtung Schiedsrichter und freute sich darüber, daß seine Entscheidung durch einen schrillen Pfiff bestätigt wurde.
Nachdem er nun wirklich alle Regeln kannte und vielleicht auch deshalb mit dem Dargebotenen immer weniger zufrieden war, kam er auf die Idee es selbst zu versuchen, es den Spielern gleichzutun oder sogar noch besser zu machen: mit 13 Jahren wurde er vom Nachwuchstrainer dann tatsächlich gefragt, ob er nicht in der Jugendmannschaft mitspielen wolle. Es war der absolute Höhepunkt seines Lebens, als er diese gelbe Dreß am klapprigen Holztisch der Kabine liegen sah, die nun für die nächste Stunde ihm allein gehören sollte – und die schwarze viel zu große Hose und die gelbschwarzen Stutzen in die er die Schienbeinschützer stecke und die er dann oben zuband, damit sie ihm nicht über die strammen Wadeln rutschten. So lief er dann ein mit anderen Kollegen, nahm Aufstellung am Mittelkreis, schrie etwas zur Begrüßung Richtung Zuschauer und ging dann munter ans Werk.
Irgendwie lief bei seinem ersten Auftritt und auch in den nächsten Wochen das Spiel an ihm vorbei, er war zwar sehr bemüht, er bewegte sich ständig aber sonst war da nicht viel. Trotzdem ließ man ihn in der Mannschaft und verbannte ihn nicht gleich auf die Ersatzbank – nicht deshalb weil man glaubte, daß er das Talent zu einem großen Fußballer haben würde, sondern weil das Verhältnis der Trainer zum Obmann immer ein sehr wichtiges ist und den Sohn des Obmannes konnte man wohl daher nicht auf der kalten Ersatzbank frieren lassen. K. hatte in seinem ganzen Leben keine wichtigen Beziehungen mehr, die ihm einen echten Vorteil brachten, aber hier hatte er sie zum ersten aber wohl auch zum letzten Mal.
Dem Vater war die ganze Sache natürlich mehr als peinlich und wenn man schon den Einsatz des Sohnes nicht verhindern konnte, so konnte man zumindest allerhand Späße darüber machen und den Obmann etwas ärgern. Dieser wiederum gab den Druck nach unten weiter und jedes Mal wurde dann Sonntag zu Mittag nicht gebetet sondern K. wurde gehörig ins Gebet genommen, bis ihm der Sonntagsbraten oder das Sonntagsschnitzel gar nicht mehr so richtig schmecken wollte: weder dem Vater, noch dem Sohn, noch der Mutter die immer wieder zu vermitteln versuchte und ihn mit Argumenten wie „aber in der Schule lernt er wenigstens brav" in Schutz nahm.
Man muß den Vater aber auch verstehen, denn K. bot manchmal wirklich eine jämmerliche Vorstellung und war den gleichaltrigen Kollegen spielerisch deutlich unterlegen: früher als die Buben auf der sogenannten „Blutwiese" völlig ohne Druck und Vereinszwang herumtollten, sah man den Unterschied noch nicht so deutlich aber danach hatten sich seine Kameraden offensichtlich besser entwickelt. K. spielte meist Stürmer, denn wenn er auch wahrscheinlich nie ein Tor erzielen würde so kann er zumindest kein Unheil anrichten. Die meisten seiner Gegenspieler hatten bald begriffen, daß von K. nicht wirklich Gefahr drohte, sie rückten also nach vorne auf, beachteten den tolpatschigen Stürmer nicht mehr und ließen ihn im Abseits stehen. Andere wiederum waren aber doch vorsichtiger, ließen ihn nie aus den Augen und rechneten bis zum Schluß mit irgendeiner Aktion – aber es kam absolut nichts.
K. war zumindest an der frischen Luft und Fußball war eine sehr willkommene Abwechslung zum Schulstreß. Seinem Vater war es aber dann einmal zuviel und er legte alle Funktionen bei diesem Verein zurück. Die Vorwürfe hinsichtlich verfehlter Einkaufspolitik und ungerechter Auszahlung von Prämien hätte er noch hingenommen, aber die Leistungen seines Sohnes gaben ihm den Rest.
Obwohl nun K. keine Unterstützung mehr hatte, geschah plötzlich etwas was vorher niemand mehr für möglich gehalten hatte: K. gelang es tatsächlich einmal seinen Gegenspieler zu überdribbeln, einen zweiten sogar und auch für eine präzise Flanke die unmittelbar zu einem Tor führte hatte er noch Kraft. Überrascht schauten alle auf die rechte Seite, kamen gratulieren und ein unbeschreiblich schönes Gefühl stieg in ihm hoch: plötzlich war er wichtig, er hatte etwas geleistet und sogar erstmals zum Sieg seiner Mannschaft beigetragen. Man setzte ihn nun verstärkt aus dem Mittelfeld ein und Spieler und Zuschauer kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus: völlig befreit und losgelöst legte er los, dribbelte, machte Vorlagen und Pässe, flankte, schoß Eckbälle und erzielte bald selbst ein Tor: dieses Tor löste schier unglaubliche Glücksgefühle in ihm aus, die nicht vergleichbar waren mit irgendwas vorher, und spornte ihn zu weiteren Höchstleistungen an.
Verbissen trainierte er nun 2 Mal pro Woche, hatte bald sein Stammleiberl auch ohne Vaters Beziehungen und freute sich jede Woche auf das sonntägliche Spiel. Es gab nichts Schlimmeres für ihn als ein auf Grund der Unspielbarkeit des Fußballplatzes abgesagtes Match. Fußball war ab jetzt für ihn das Leben, die Mädchen in der Klasse interessierten ihn kaum noch und er konzentrierte sich voll und ganz auf seine neue Leidenschaft. Irgendwo hatte er gelesen, daß Beziehungen zu Mädchen einer Sportkarriere schaden und sich negativ auf die Leistung auswirken könnte: ab da hatte er geradezu panische Angst vor ihnen.
Er führte genaue Tagebücher über die Spiele, führte Statistiken und trug genau ein, ob er bei Heimspielen die Tore auf der Bahnseite oder Bachseite geschossen hatte. Er konnte nie herausfinden, warum die Torhäufigkeit auf der Bahnseite 70% und auf der Bachseite nur 30% betrug – offensichtlich war er auf der Bahnseite durch die Zuschauer, die hier bei der Kantine nahe der Outlinie standen und die Mannschaft anfeuerten, mehr motiviert als auf der gegenüberliegenden Seite neben den Getreidefeldern. Auf dieser Seite war er also immer besonders aktiv und alles war unter dem Gejohle der Anhänger einfacher: den weiten Paß angenommen, kurzer und überlegter Haken nach außen, unwiderstehlicher Sprint entlang der Outlinie vorbei an den treuen Fans die er fast berühren konnte bis zu Cornerfahne und dann eine überlegte präzise Flanke und einfach warten bis ein Mitspieler zur Stelle war und den Ball unter dem Beifall der Zuschauer im Tor unterbrachte. Vergeblich überredete man K. einmal einen Innenhaken zu versuchen aber dann wäre die Sache nur mehr halb so reizvoll gewesen, er wäre wahrscheinlich alleine vor Stopper oder Tormann verstanden und hätte vielleicht kläglich versagt.
Irgendwann war er dann für die Jugendmannschaft zu alt und er wechselte zu den Junioren und später in die Reserve und sporadisch auch in die Kampfmannschaft. Die Besprechungen wurden dann nicht mehr in der Kabine abgehalten, sondern es wurde ausführlich im Dorfgasthaus diskutiert und auch nach dem Training fuhr man nicht gleich nach Hause, sondern saß oft noch weit nach Mitternacht im Gasthaus, analysierte das letzte Spiel, entwarf Strategien für das nächste Match und genoß auf jeden Fall reichlich den köstlichen Wagramer Rebensaft. Nach einem Aufstieg in die nächsthöhere Spielklasse begannen auch die weiten Busreisen in die entlegensten Gegenden des Marchfeldes, des Wein- und des Waldviertels.
Diese Busreisen waren trotzdem immer sehr kurzweilig – man war schon eine richtige Familie geworden, reiste gemeinsam mit den Schlachtenbummlern an, tat seine Pflicht und fuhr wieder mit dem Bus zurück. Hatte man gewonnen so blieb man unterwegs stehen, holte ein paar Doppelliter Wein an Bord und trank diese in bester Stimmung auf der Rückreise leer – hatte man verloren tat man aus Kummer dasselbe.
Trotz allen Bemühens war K. aber wirklich kein begnadeter Fußballer: manche seiner Mannschaftskameraden konnten sogar mit Gewinn an einen Club in einer höheren Liga oder sogar in der höchsten Liga verkauft werden, K. mußte aber wohl oder übel seinem Verein treu bleiben: Interessenten gab es nicht wirklich. Richtig quälen konnte er sich eigentlich nie, bedingungslosen Einsatz zeigte er auch nie und manchmal war er sogar nachlässig und unkonzentriert: in einem wichtigen Spiel suchte K. infolge der enormen Hitze den am Spielfeldrand stehenden Wasserkübel auf: warum mußte gerade in diesem Moment der gegnerische Stürmer den er eigentlich decken sollte daherkommen und das einzige Tor schießen? Und dann war noch die Sache mit dem Tor das er verhinderte - allerdings war das ein Schuß seines Mannschaftskollegen dem K. einfach nicht mehr ausweichen konnte: die gegnerische Mannschaft gratulierte geschlossen.
Irgendwann wurde er dann nicht mehr regelmäßig eingesetzt, er saß oft am Bankerl, trainierte kaum noch, wurde deutlich rundlicher und so beschloß er die Fußballschuhe für immer an den Nagel zu hängen – und Tennis war ja wirklich auch kein schlechter Sport.