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 Kap 3: Die Jagd nach dem runden Leder

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K. hatte in seinen Jugendjahren wahrscheinlich wirklich nur eine  einzige Leidenschaft und das war Fußball. Er war auch etwas vorbelastet durch seinen  Vater, der es vom einfachen Kassier über den Sektionsleiter bis zum Obmann des örtlichen  Fußballvereines gebracht hatte, und daher entstand bald eine ganz natürliche Beziehung  zu diesem Sport wo 22 Personen mit äußerster Entschlossenheit einem einzigen Ball  nachlaufen – warum gibt man nicht jedem einen dachte K. zu Beginn.

Bald begriff er aber die gesamte Problematik und Dramatik dieses  Sports, er versuchte die Regeln zu verstehen und freute sich ganz besonders, wenn ihn sein  Vater der „Big Boss" des Vereines zu diversen Handgriffen heranzog: die Plakate  für das Meisterschaftsspiel am Wochenende waren zu schreiben und an den strategisch  wichtigen Plätzen anzubringen, der Rasen war zu mähern, die Linien waren vor dem Spiel  sorgfältig zu markieren und auch die Netze waren an den Toren anzubringen. Während des  Spiels mußte die Matchuhr kontrolliert und zumindest in der Halbzeit nachgestellt werden  und die Aluminiumtaferln, die jederzeit den Spielstand anzeigen sollten, mußten ebenfalls  nach jedem Tor ausgetauscht werden.

Zählen konnte er ja schon ganz gut aber ein 0:1 war für ihn dasselbe  wie ein 1:0 und so bekam er immer Probleme mit seinem Vater, der einfach nicht verstehen  konnte, daß sein einfältiger Sohn einfach nicht mitbekam welche Mannschaft das Tor  geschossen hatte, wer eigentlich die Heimmannschaft war und daß die erste Zahl immer für  die Heimmannschaft stand. Irgendwann verzichtete man ganz auf die Tafeln, denn die wenigen  Zuschauer wußten den Spielstand ohnehin ganz genau, erfuhren ihn von den anderen oder  lehnten an der Kantine und bekamen das Spiel ohnehin nicht mehr richtig mit. Auch die  Matchuhr hatte ihren Geist aufgegeben und für eine Reparatur fehlte das Geld – K.  saß aber trotzdem noch immer auf der kleinen Holzbank unter der großen Matchuhr und  verfolgte immer interessierter das Geschehen am Rasen.

Irgendwann war er dann mit den Regeln so vertraut, daß er bei den  unwichtigen Spielen der Reservemannschaft sogar als Linienrichter herangezogen wurde, was  die wenigen Zuschauer entweder zu Lachsalven hinriß oder zu Zornesausbrüchen  veranlaßte: K. der in der Regel immer sehr weit weg vom Geschehen war hob meist dann die  Fahne, wenn der Ball noch gut einen Meter im Feld war - er hatte immer die Angst den  entscheidenden Moment zu versäumen, in dem der Ball die Linie mit seinem gesamten Umfang  überschritten hatte. Wenn man ihn dann genug beschimpft hatte kehrte sich dann das ganze  ins Gegenteil um: um seine Fehler von früher zu kompensieren ließ er dafür manchmal  weiterspielen wenn der Ball gut einen Meter über der Linie war – nur wenn die 2m  entfernte Bande mit den Werbetafeln errecht war und der Ball deutlich hörbar  dagegenknallte stand auch für K. eindeutig fest: der Ball ist im Out und er schwang die  Outfahne wildgestikulierend Richtung Schiedsrichter und freute sich darüber, daß seine  Entscheidung durch einen schrillen Pfiff bestätigt wurde.

Nachdem er nun wirklich alle Regeln kannte und vielleicht auch deshalb  mit dem Dargebotenen immer weniger zufrieden war, kam er auf die Idee es selbst zu  versuchen, es den Spielern gleichzutun oder sogar noch besser zu machen: mit 13 Jahren  wurde er vom Nachwuchstrainer dann tatsächlich gefragt, ob er nicht in der  Jugendmannschaft mitspielen wolle. Es war der absolute Höhepunkt seines Lebens, als er  diese gelbe Dreß am klapprigen Holztisch der Kabine liegen sah, die nun für die nächste  Stunde ihm allein gehören sollte – und die schwarze viel zu große Hose und die  gelbschwarzen Stutzen in die er die Schienbeinschützer stecke und die er dann oben  zuband, damit sie ihm nicht über die strammen Wadeln rutschten. So lief er dann ein mit  anderen Kollegen, nahm Aufstellung am Mittelkreis, schrie etwas zur Begrüßung Richtung  Zuschauer und ging dann munter ans Werk.

Irgendwie lief bei seinem ersten Auftritt und auch in den nächsten  Wochen das Spiel an ihm vorbei, er war zwar sehr bemüht, er bewegte sich ständig aber  sonst war da nicht viel. Trotzdem ließ man ihn in der Mannschaft und verbannte ihn nicht  gleich auf die Ersatzbank – nicht deshalb weil man glaubte, daß er das Talent zu  einem großen Fußballer haben würde, sondern weil das Verhältnis der Trainer zum Obmann  immer ein sehr wichtiges ist und den Sohn des Obmannes konnte man wohl daher nicht auf der  kalten Ersatzbank frieren lassen. K. hatte in seinem ganzen Leben keine wichtigen  Beziehungen mehr, die ihm einen echten Vorteil brachten, aber hier hatte er sie zum ersten  aber wohl auch zum letzten Mal.

Dem Vater war die ganze Sache natürlich mehr als peinlich und wenn man  schon den Einsatz des Sohnes nicht verhindern konnte, so konnte man zumindest allerhand  Späße darüber machen und den Obmann etwas ärgern. Dieser wiederum gab den Druck nach  unten weiter und jedes Mal wurde dann Sonntag zu Mittag nicht gebetet sondern K. wurde  gehörig ins Gebet genommen, bis ihm der Sonntagsbraten oder das Sonntagsschnitzel gar  nicht mehr so richtig schmecken wollte: weder dem Vater, noch dem Sohn, noch der Mutter  die immer wieder zu vermitteln versuchte und ihn mit Argumenten wie „aber in der  Schule lernt er wenigstens brav" in Schutz nahm.

Man muß den Vater aber auch verstehen, denn K. bot manchmal wirklich  eine jämmerliche Vorstellung und war den gleichaltrigen Kollegen spielerisch deutlich  unterlegen: früher als die Buben auf der sogenannten „Blutwiese" völlig ohne  Druck und Vereinszwang herumtollten, sah man den Unterschied noch nicht so deutlich aber  danach hatten sich seine Kameraden offensichtlich besser entwickelt. K. spielte meist  Stürmer, denn wenn er auch wahrscheinlich nie ein Tor erzielen würde so kann er  zumindest kein Unheil anrichten. Die meisten seiner Gegenspieler hatten bald begriffen,  daß von K. nicht wirklich Gefahr drohte, sie rückten also nach vorne auf, beachteten den  tolpatschigen Stürmer nicht mehr und ließen ihn im Abseits stehen. Andere wiederum waren  aber doch vorsichtiger, ließen ihn nie aus den Augen und rechneten bis zum Schluß mit  irgendeiner Aktion – aber es kam absolut nichts.

K. war zumindest an der frischen Luft und Fußball war eine sehr  willkommene Abwechslung zum Schulstreß. Seinem Vater war es aber dann einmal zuviel und  er legte alle Funktionen bei diesem Verein zurück. Die Vorwürfe hinsichtlich verfehlter  Einkaufspolitik und ungerechter Auszahlung von Prämien hätte er noch hingenommen, aber  die Leistungen seines Sohnes gaben ihm den Rest.

Obwohl nun K. keine Unterstützung mehr hatte, geschah plötzlich etwas  was vorher niemand mehr für möglich gehalten hatte: K. gelang es tatsächlich einmal  seinen Gegenspieler zu überdribbeln, einen zweiten sogar und auch für eine präzise  Flanke die unmittelbar zu einem Tor führte hatte er noch Kraft. Überrascht schauten alle  auf die rechte Seite, kamen gratulieren und ein unbeschreiblich schönes Gefühl stieg in  ihm hoch: plötzlich war er wichtig, er hatte etwas geleistet und sogar erstmals zum Sieg  seiner Mannschaft beigetragen. Man setzte ihn nun verstärkt aus dem Mittelfeld ein und  Spieler und Zuschauer kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus: völlig befreit und  losgelöst legte er los, dribbelte, machte Vorlagen und Pässe, flankte, schoß Eckbälle  und erzielte bald selbst ein Tor: dieses Tor löste schier unglaubliche Glücksgefühle in  ihm aus, die nicht vergleichbar waren mit irgendwas vorher, und spornte ihn zu weiteren  Höchstleistungen an.

Verbissen trainierte er nun 2 Mal pro Woche, hatte bald sein  Stammleiberl auch ohne Vaters Beziehungen und freute sich jede Woche auf das sonntägliche  Spiel. Es gab nichts Schlimmeres für ihn als ein auf Grund der Unspielbarkeit des  Fußballplatzes abgesagtes Match. Fußball war ab jetzt für ihn das Leben, die Mädchen  in der Klasse interessierten ihn kaum noch und er konzentrierte sich voll und ganz auf  seine neue Leidenschaft. Irgendwo hatte er gelesen, daß Beziehungen zu Mädchen einer  Sportkarriere schaden und sich negativ auf die Leistung auswirken könnte: ab da hatte er  geradezu panische Angst vor ihnen.

Er führte genaue Tagebücher über die Spiele, führte Statistiken und  trug genau ein, ob er bei Heimspielen die Tore auf der Bahnseite oder Bachseite geschossen  hatte. Er konnte nie herausfinden, warum die Torhäufigkeit auf der Bahnseite 70% und auf  der Bachseite nur 30% betrug – offensichtlich war er auf der Bahnseite durch die  Zuschauer, die hier bei der Kantine nahe der Outlinie standen und die Mannschaft  anfeuerten, mehr motiviert als auf der gegenüberliegenden Seite neben den  Getreidefeldern. Auf dieser Seite war er also immer besonders aktiv und alles war unter  dem Gejohle der Anhänger einfacher: den weiten Paß angenommen, kurzer und überlegter  Haken nach außen, unwiderstehlicher Sprint entlang der Outlinie vorbei an den treuen Fans  die er fast berühren konnte bis zu Cornerfahne und dann eine überlegte präzise Flanke  und einfach warten bis ein Mitspieler zur Stelle war und den Ball unter dem Beifall der  Zuschauer im Tor unterbrachte. Vergeblich überredete man K. einmal einen Innenhaken zu  versuchen aber dann wäre die Sache nur mehr halb so reizvoll gewesen, er wäre  wahrscheinlich alleine vor Stopper oder Tormann verstanden und hätte vielleicht kläglich  versagt.

Irgendwann war er dann für die Jugendmannschaft zu alt und er  wechselte zu den Junioren und später in die Reserve und sporadisch auch in die  Kampfmannschaft. Die Besprechungen wurden dann nicht mehr in der Kabine abgehalten,  sondern es wurde ausführlich im Dorfgasthaus diskutiert und auch nach dem Training fuhr  man nicht gleich nach Hause, sondern saß oft noch weit nach Mitternacht im Gasthaus,  analysierte das letzte Spiel, entwarf Strategien für das nächste Match und genoß auf  jeden Fall reichlich den köstlichen Wagramer Rebensaft. Nach einem Aufstieg in die  nächsthöhere Spielklasse begannen auch die weiten Busreisen in die entlegensten Gegenden  des Marchfeldes, des Wein- und des Waldviertels.

Diese Busreisen waren trotzdem immer sehr kurzweilig – man war  schon eine richtige Familie geworden, reiste gemeinsam mit den Schlachtenbummlern an, tat  seine Pflicht und fuhr wieder mit dem Bus zurück. Hatte man gewonnen so blieb man  unterwegs stehen, holte ein paar Doppelliter Wein an Bord und trank diese in bester  Stimmung auf der Rückreise leer – hatte man verloren tat man aus Kummer dasselbe.

Trotz allen Bemühens war K. aber wirklich kein begnadeter Fußballer:  manche seiner Mannschaftskameraden konnten sogar mit Gewinn an einen Club in einer  höheren Liga oder sogar in der höchsten Liga verkauft werden, K. mußte aber wohl oder  übel seinem Verein treu bleiben: Interessenten gab es nicht wirklich. Richtig quälen  konnte er sich eigentlich nie, bedingungslosen Einsatz zeigte er auch nie und manchmal war  er sogar nachlässig und unkonzentriert: in einem wichtigen Spiel suchte K. infolge der  enormen Hitze den am Spielfeldrand stehenden Wasserkübel auf: warum mußte gerade in  diesem Moment der gegnerische Stürmer den er eigentlich decken sollte daherkommen und das  einzige Tor schießen? Und dann war noch die Sache mit dem Tor das er verhinderte -   allerdings war das ein Schuß seines Mannschaftskollegen dem K. einfach nicht mehr  ausweichen konnte: die gegnerische Mannschaft gratulierte geschlossen.

Irgendwann wurde er dann nicht mehr regelmäßig eingesetzt, er saß  oft am Bankerl, trainierte kaum noch, wurde deutlich rundlicher und so beschloß er die  Fußballschuhe für immer an den Nagel zu hängen – und Tennis war ja wirklich auch  kein schlechter Sport.

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