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Kap 10: Das Schloß

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K. hatte soviel Freude mit seinem Sohn, daß es ihm eigentlich sehr leid tat ihn für mehrere Wochen verlassen zu müssen. Wie jedes Jahr standen aber die Feldarbeiten auf Schloß Niederlehen am Programm und das bedeutete, daß K. fünf Wochen von seiner Familie getrennt war.

Nach einer Vorbereitungswoche waren 2 Wochen lang die Forstwirte und 2 Wochen die Kulturtechniker zu betreuen. Schloß Niederlehen war mit seiner Kursstätte und dem Internat eigentlich eine landwirtschaftliche Fachschule und wurde nur im Sommer für die Vermessungsübungen der Universität überlassen.

K. ließ es sich auch diesmal nicht nehmen mit der Bahn anzureisen. Er brauchte zwar fast doppelt solange aber er genoß die Idylle, die Fahrt durch das romantische Ybbstal, die kleinen engen Waggons der Schmalspurbahn und er hatte manchmal das Gefühl die Zeit wäre stehengeblieben auf dieser Bahnstrecke, die sicher schon viel bessere Zeiten erlebt hatte.

Es hatte sich auch diesmal nichts verändert. Wie jedes Jahr trat im einzigen größeren Bahnhof die wahrscheinlich einzige Fahrdienstleiterin im Land auf den Bahnsteig um den Zug abzufertigen und wie jedes Jahr war K. froh, daß der anschließende Tunnel sicher zu den kürzesten zählte und bereits nach wenigen Sekunden der Finsternis wieder die helle freundlichen Landschaft zum Vorschein kam.

K. mochte keine Tunnels, er fühlte sich nie wohl in ihnen und war immer froh wenn er am anderen Ende angekommen war. K. wußte nicht genau was es war: war es die Enge, war es die Schwärze, war es die Ungewißheit am anderen Ende anzukommen?

Ab dem Tunnel stellte sich für K. wieder die bange Frage, ob der Zug auch wirklich in der Haltestelle Niederlehen halten würde oder ob er - wie bereits einmal - wieder einige Kilometer von der nächsten Station zurückgehen müsse. Der Zug hielt mit quietschenden Rädern sogar einige Meter früher als sonst: man hatte doch tatsächlich den alten Forstmeister überzeugen können, daß die Verlegung der Haltestelle ein großer Vorteil für die Fachschule und für ihn die Belastung nicht zu groß wäre. Der Zug hielt nun tatsächlich unmittelbar vor dem Forsthaus und der Zufahrt zum Schloß.

K. atmete lang und tief durch: er genoß diese ländliche Idylle und die gute saubere Luft von der ersten Sekunde an. Vor der Kursstätte empfingen ihn schon seine Kollegen und man besprach das Programm der diesjährigen Feldarbeiten.

Es wurde genau festgelegt was zu vermessen war, die alten Punkte, die meist durch verrostete Eisenrohre oder Nägel gekennzeichnet waren, wurden aufgesucht und die Fernziele wurden freigelegt, um den Studenten jederzeit optimale Sicht darauf zu garantieren und sie bei den Messungen nicht zu lange aufzuhalten. K. kannte diese Tafeln alle mit Namen: den Leckstein - LS, die Garnbergtafel - GT, die Föhre Signal - FS und das Schloß - S.

Diese erste Woche fand K. nie sehr spannend, denn ohne Studenten war alles einsam und verlassen, öde und leer. Doch nach einer Woche rückten die 70 Forstwirte endlich an, bezogen Unterkunft im Internatsgebäude und waren Montag früh pünktlich am Platz vor der Kursstätte entsprechend der Gruppeneinteilung streng in Reih und Glied angetreten. Irgendwie erinnerte K. die ganze Zeremonie an seine Zeit beim Militär.

Die Studenten trugen in der Regel grüne Gummistiefel, grüne Mäntel und einige auch einen grünen Hut. Die wenigen Mädchen waren vor allem bei Schlechtwetter von den männlichen Kollegen kaum zu unterscheiden. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Internatsleiter und Holinka stürzten sich alle förmlich auf die Geräte, holten sich einige Anweisungen und begannen die Gegend um Niederlehen wieder hemmungslos zu vermessen. Diese Gegend ist daher mit Sicherheit die bestvermessene des ganzen Landes.

K. verglich die Ergebnisse mit denen des Vorjahres und konnte wieder eine ausgezeichnete Übereinstimmung feststellen. Manchmal wurde er allerdings den Verdacht nicht los, daß die Ergebnisse jedes Jahr vom Vorjahr abgeschrieben und nur geringfügig geändert wurden - beweisen konnte er es allerdings nie.

Die Mahlzeiten wurden direkt im Schloß eingenommen und K. hätte viel darum gegeben in diesem Schloß auch nächtigen zu dürfen. Doch es war nur ein einziges Zimmer verfügbar und das nahm natürlich Professor Holinka in Beschlag, wenn er sich - hauptsächlich nur am ersten Tag - in Niederlehen zeigte.

An einem solchen Tag konnte es leicht passieren, daß Holinka fragte: "Herr Kollege hätten sie einmal kurz Zeit?" und dann begannen die gefürchteten Niederlehen-Runden, bei denen man versuchen mußte mit Holinka Gleichschritt zu halten und wo man über Gott und die Welt, über neue Technologien und über Holinkas Visionen diskutierte.

Früher hatte Holinka noch fallweise Studentengruppen besucht, doch nachdem er enttäuscht feststellen mußte, daß ihn manche Studenten gar nicht kannten und sich schon gar nicht durch ihn belehren lassen wollten und entrüstet waren über die gutmeinten Vorschläge das Instrument doch mit dem Senkel und nicht - wie eigentlich seit Jahrzehnten üblich - dem optischen Lot aufzustellen, unterließ er auch sehr zur Freude von K. derartige Versuche gänzlich.

Die Niederlehen-Runden waren daher nun umsomehr Pflicht und nach erfolgter Absolvierung kam sofort der nächste Kollege dran.

Die Zeit in Niederlehen verging schnell. Zu einer guten Studentenbetreuung gehörte auch das abendliche Fußballspiel am Internatsplatz und wenn es sehr heiß war das Baden in der meist eiskalten Ybbs. K. war nicht immer zufrieden mit den Übungsleistungen aber er staunte über die Geschicklichkeit und den Einfallsreichtum der Studenten beim waghalsigen Klippensprung. Sie wurden nicht müde die steilen Felsen hinaufzuklettern, um anschließend unter dem Gejohle der anderen Studenten die tollkühnsten Sprünge bei besten Haltungsnoten hinzulegen. Zusätzlich ließ das in diesem schluchtähnlichen Gebiet nie enden wollende Echo das Ganze zu einem unvergeßlichen Erlebnis für Studenten und Lehrkörper werden.

Die Mädchen die meist in der prallen Mittagssonne lagen unterschieden sich nun doch etwas deutlicher von den Burschen als es K. noch am ersten Tag aufgefallen war.

Besonders romantisch fand K. die abendlichen Lagerfeuer an der Ybbs, wo man sich nun auch persönlich etwas näherkommen konnte. K. spürte instinktiv, daß seine Studenten das brauchten und sie konnten sich hier endlich aussprechen und das sagen was sie schon das ganze Jahr bedrückte. Auch K. konnte sehen ob er gut oder schlecht angekommen war in diesem Jahr und das war auch wichtig für ihn.

In der zweiten Woche standen die Prüfungen am Programm und K. konnte die Nervosität seiner Studenten förmlich spüren: niemand hatte besondere Lust diese beiden Wochen in Niederlehen nächstes Jahr zu wiederholen und die Unbekümmertheit der ersten Tage wich dem Ernst und der Konzentriertheit. K. hatte beschlossen niemanden fallenzulassen wenn er sich auch nur halbwegs bemühen würde, aber er wußte natürlich nicht ob auch die anderen Kollegen so dachten.

Die große Hürde war offensichtlich die Aufstellung des Meßgerätes - des Theodoliten mit dem dazugehörigen Stativ. Manche Studenten vollführten die eigenartigsten Tänze mit dem Gerät und waren fast nie auch nur annähernd über der Bodenmarkierung bzw. Pflock aber sie waren umso erfinderischer in den Ausreden. K. half wo er konnte, bewahrte so auch manches Meßgerät vor dem unausweichlichen Sturz zu Boden, redete den Studenten gut zu, ließ sie den Angstschweiß auf der Stirn und die feuchten Hände -wenn es nötig war auch mehrmals - trocknen, verschob als letzten Ausweg die Bodenmarkierung und kam zur Erkenntnis, daß sich wirklich alle sehr bemüht hatten.

Nachdem die Forstwirte mit der weißen Fahne in der Hand die Heimreise angetreten hatten, trudelten gemächlich die Kulturtechniker an. Sie waren bei weitem nicht so gut ausgerüstet wie die Forstwirte und die Mädchen trugen fast durchwegs Stöckelschuhe. Die erste Verdacht auf Regentropfen ließ sie meist sofort umkehren und die Übung abbrechen. Auch bei Kälte fühlten sie sich nicht besonders wohl.

Auch wenn oder gerade weil sie vielleicht bei den gesamten Feldarbeiten nicht immer mit vollen Engagement zur Sache gingen und wahrscheinlich Reserven für das Rahmenprogramm zurückhielten, waren sie bei den Klippensprüngen in einer anderen Liga. K. hätte nie gedacht, daß die Sprünge der Forstwirte noch zu übertreffen waren, aber sie kletterten noch höher die Klippen hinauf und für die Sprünge waren fast nur die Höchstnoten zu vergeben - ja und die Mädchen unterschieden sich auch noch deutlicher von den Burschen wie K. erfreut feststellen konnte. Auch beim Fußballspiel waren sie um eine Klasse stärker.

K. sah wieder eine heikle Aufgabe auf sich zukommen, da Holinka bei seinen Runden mehrfach betont hatte, daß an diesen Übungen auch die Tochter der Frau Minister Bubischek teilnehmen würde und man daher extrem vorsichtig sein müsse: fast mehr noch als beim Sohn des Grafen Tappany letztes Jahr oder des Grafen Wichtenstein vor 2 Jahren.

Günter der alle Studenten bereits von den Übungen in der Stadt kannte war allerdings wild entschlossen die gesamte Gruppe um die Bubischek genauer unter die Lupe zu nehmen und wenn sie nicht entsprachen geschlossen nach Hause zu schicken.

Auch K. war bereits mehrmals aufgefallen, daß diese Gruppe meist ratlos um die Geräte herumstand und mit ihnen nicht allzuviel anzufangen wußte; dafür plauderten und scherzten sie aber umso munterer.

Als der Tag der Prüfung nahte, beschloß K. selbst diese Gruppe zu prüfen bevor sie noch in die Hände des erzürnten Günter fiel. Er begab sich also unverzüglich zur Ministertochtergruppe und stellte sehr sehr menschliche Fragen und bekam sehr sehr menschliche Antworten. Auch der Umgang mit den Meßgeräten war weit besser als erwartet, sodaß K. die gesamte Gruppe als positiv beurteilen konnte. Als Günter wenige Minuten später ebenfalls bei der Gruppe eintraf war bereits alles erledigt und die Blicke die Günter K. zuwarf drückten fast neben Vorwurf auch Erleichterung aus.

Auch Lehrkanzelwart Stumm war froh, daß diese "wilde Truppe" die ständig nur die halbe Meßausrüstung zurückbrachte und ihn daher oft um die wohlverdiente Mittagspause bzw. Pflege seines neuen Sportwagens brachte, Niederlehen nächstes Jahr nicht wieder heimsuchte.

Wieder waren die 5 Wochen zu Ende gegangen, das Lachen der Studenten im großen Speisesaal verschwand, unten an der Ybbs kehrte wieder Ruhe ein und das Schloß Niederlehen verfiel wieder in seinen sommerlichen Dornröschenschlaf. Die Angestellten des Schlosses konnten wieder ungehindert ihrer Arbeit nachgehen und die kleine Schmalspurbahn nahm ihren wahrscheinlich für längere Zeit einzigen Passagier auf, um ihn ein Stück näher zur großen Stadt und seiner Familie zu bringen.

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