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Kap 12: Außenstelle Nord

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Frohgemut, gutgelaunt und voller Ambitionen begab sich K. am ersten Arbeitstag zu seiner neuen Arbeitsstätte, der Außenstelle Nord. Dort wurde er sofort auffallend freundlich von einem Personalbeamten empfangen und allen gerade Anwesenden vorgestellt. K. war zu Beginn doch etwas erstaunt, daß hier ein einigermaßen anderer Ton als an der altehrwürdigen Universität oder im Vermessungsbüro herrschte und an den Wänden hingen auch wieder diese Bilder mit den nackten Frauen, die K. zwar nur flüchtig wahrnahm, die ihn aber doch irgendwie irritierten.

Sein Sinn stand K. aber derzeit eher weniger nach nackten Mädchen als nach Vermessungsgeräten, nach Nivellieren und nach Computeranlagen, die er hier sehr zahlreich vorzufinden hoffte.

Er erkundigte sich sofort welche Arbeit er als erste übernehmen solle und wie diese Stelle hier ausgerüstet wäre – er erzählte etwas von neuen Technologien, der freundliche Personalbeamte sprach aber nur von Vorschriften. Zu vermessen gäbe es hier eigentlich nichts sagte der Personalbeamte aber man werde sich natürlich redlich bemühen eine Arbeit für K. aufzutreiben.

Jetzt zu Beginn müsse er sich natürlich mit den wichtigsten Vorschriften beschäftigen was in der kalten Jahreszeit ohnehin nicht das unangenehmste wäre. Behutsam legte er ihm dann eine grüne Mappe auf den Tisch und meinte daß er sich diese Vorschrift gründlich durchlesen solle, in 2-3 Wochen werde er ihn darüber dann kurz befragen.

Am ersten Tag waren natürlich sehr viele Formalitäten zu erledigen. K. war sehr erstaunt über den vielen Papierkram aber er hätte in den nächsten Tagen wahrscheinlich viel darum gegeben, hätte ihm jemand wenigstens ein Formular vorgelegt das auszufüllen war.

Gleichzeitig mit allen anderen Dokumenten wurde auch ein Zettel für den Gewerkschaftsbeitritt vorgelegt. Als K. kurz zögerte und vorher noch kurz und allgemein über die Tätigkeit der Gewerkschaft informiert werden wollte, war innerhalb von Sekunden ein Gewerkschaftsvertreter zur Stelle. Er erklärte Sinn und Zweck der Gewerkschaft und deren Bedeutung im Unternehmen und meinte, daß man natürlich nicht unbedingt dabei sein müsse aber mit einem Funkeln in den Augen fügte er den Nachsatz hinzu, daß nahezu 100% aller ÖVU-Bediensteten Mitglieder wären.

K. unterschrieb daher unverzüglich und war dann fast überrascht, daß man ihn nicht auch nach einem Parteibuch fragte.

K. wartete nun am dem 2. Tag auf irgendeine Arbeit aber es wurde ihm keine gegeben – auch am 3. und 4. Tag nicht und auch nicht an den darauffolgenden Tagen. Die Vitatalität des ersten Tages und die Freude auf neue Aufgaben war rasch verflogen und K. begann erstmals in seinem Leben die Minuten und Stunden zu zählen – nie hatte er sich früher vorstellen können wie unendlich lang 8 Stunden sein können.

Die Kollegen waren eigentlich alle sehr nett zu K. und zeigten ihm alles was man bei der Bewältigung des Alltags im Büro benötigte und manche versuchten ihm Trost zuzusprechen: "Eigentlich schade, daß du nur ein Vermessungsingenieur bist und wir dich nicht als Bauaufsicht einsetzen können" oder "Bei uns kannst du Doktor sein aber es nützt dir gar nichts wenn du nicht die richtigen Leute kennst" oder "Du bist halt leider nur Überhang hier aber vielleicht kommst du in einigen Monaten ohnehin wieder weg".

K. der nie etwas anderes gelernt hatte als eine ihm gestellte Aufgabe in kürzester Zeit abzuwickeln konnte es einfach nicht glauben, daß es hier für ihn keine Arbeit geben sollte. Jeden Abend klagte er Angelika sein Leid, er begann sogar still zu weinen und meinte, daß nun alle seine beruflichen Bemühungen und sein Streben umsonst gewesen wäre und nun alles völlig verpfuscht wäre.

In höchster Not gab K. dann nach einer Woche eine Announce in einer Tageszeitung auf unter "Vermessungsingenieur mit EDV-Ausbildung sucht neues Betätigungsfeld". Die einlangenden Firmenangebote waren allerdings nicht gerade zahlreich und schon gar nicht verlockend und so beschloß K. sich weiter bei der ÖVU zu quälen.

Und es war eine irrsinnige Qual für K. die einzelnen Tage förmlich totzuschlagen, die vorbeifahrenden Züge zu betrachten, auf die grauen Mauern vor seinem Fenster zu starren und diese verdammte Vorschrift, die er nun schon fast auswendig konnte, immer wieder durchzublättern.

Nach 2 Wochen kam dann K. in ein anderes Zimmer wo ihm Kollege Gerhard etwas beibringen sollte – der erste Teil der Ausbildung war also offensichtlich abgeschlossen. Gerhard selbst war sehr beschäftigt und hatte daher auch wenig Zeit für K. aber er war zumindest der erste der das Problem des "Neuen" sah. Er versuchte ihm zu helfen wo er konnte, aber es war immer noch viel zuwenig um den unbändigen Tatendrang und ungeheuren Wissensdurst zu stillen.

Immer wieder riet er K. ja nur nichts persönlich zu nehmen: das sei halt so bei der ÖVU, Leistung zähle nicht wirklich und kaum jemand könne halt das machen wofür er befähigt sei und überhaupt sei vieles vom Zufall abhängig.

K. begann sich nun langsam, ganz langsam auf die neue Situation einzustellen und er begann Abstriche von seinen hochgesteckten Zielen zu machen. Er hatte einen exzellenten Schachspieler kennengelernt und nach den ersten spannenden Partien in der Mittagspause erkannte K., daß er hier nun etwas gefunden hatte wo er zumindest 2, 3 oder sogar 4 Stunden intensiv beschäftigt war und die restlichen Stunden waren bei einigem guten Willen und Einfallsreichtum auch noch zu schaffen.

K. hätte sich natürlich lieber mit EDV beschäftigt aber die EDV-Anlagen fehlten genauso wie die Vermessungsgeräte. Einen Chef hatte er natürlich auch, aber der war selber neu und hatte natürlich keine Zeit für K. Er war hauptsächlich damit beschäftigt die Angriffe seines Stellvertreters abzuwehren der immer der Meinung war, daß er neue Chef nicht geeignet wäre für diese große Dienststelle, Intrigen schmiedete und daher verständlicherweise auch keine Zeit hatte.

Einmal gelang es K. seinen Chef auf den Umstand hinzuweisen, daß er eigentlich keine sinnvolle Beschäftigung hatte bzw. hier gerne etwas gelernt hätte. Der Chef antwortete aber nur mit "K. was glauben Sie, wir sind ja keine Ausbildungsstätte".

Damit war das Thema wieder erledigt und weitere Tage des Müßiggangs folgten. K. hatte aber wieder zu seiner alten Kampfeslust gefunden: er wollte nicht aufgeben, sich geschlagen geben wie es vielleicht schon manche erwartet hätten – nein diese Freude wollte er niemanden machen und daher quälte er sich tapfer weiter.

Einmal gab es dann wie aus heiterem Himmel eine richtige Aufgabe: K. sollte eine Massenermittlung einer Baugrube vornehmen. Er hatte zwar sowas vorher noch nie gemacht aber er hätte alles getan um aus dem tristen Büro herauszukommen: er hätte wahrscheinlich die halbe Welt vermessen wenn man es verlangt hätte.

Nur mit einem Maßband, einem Nivelliergerät und einer Meßlatte ausgerüstet schickte man ihn raus: K. war dann doch einigermaßen verwirrt als er die riesige Baugrube sah und merkte, daß ihm nur gänzlich untaugliche Mittel zur Verfügung standen. Doch irgendwie hatte er es dann doch geschafft und kam nach mehrstündigen Berechnungen unter Entwicklung von teilweise neuen Algorithmen zu einem Ergebnis das im wesentlichen mit den von der Firma vorgelegten Unterlagen übereinstimmte.

K. wurde erstmals für eine Arbeit bei der ÖVU gelobt. Erst viel später stellte er dann fest, daß er sich bei der Berechnung um eine Zehnerpotenz geirrt hatte, doch die offensichtlich ebenfalls fehlerhafte Messung glich die falsche Berechnung wieder aus.

Als der Winter nahte gab es für K. eine weitere positive Meldung: für eine große Sanierungsarbeit wurde dringend eine Vermessung benötigt.

Alle stöhnten unter dieser überraschenden Aufgabe mit der sie so knapp vor Wintereinbruch nicht mehr gerechnet hatten, doch K. sah nun seine Stunde gekommen.

Er trommelte einige Leute zusammen, borgte sich Geräte aus und ließ sich auch von den schwersten Stürmen und stärksten Regengüssen nicht von seiner ersten wirklich großen Aufgabe aufhalten.

Diesmal überließ K. nichts dem Zufall, er bereitete alles sorgfältig vor, überprüfte alles genau und legte die Ergebnisse termingerecht vor. Gerne hätten zwar die Gehilfen die Arbeiten mehrmals abgebrochen doch K. schaffte es immer wieder durch gutes Zureden auch den ersten Schnee nicht unbedingt als Grund für Unterbrechungen gelten zu lassen. Kaum jemals zuvor hatte K. so gefroren wie in dieser einsamen flachen Gegend des Marchfeldes.

Da nun aber für die nächsten Monate wieder keine sinnvolle Tätigkeit zu erwarten war, sprach K. nun bei jener Vermessungsstelle vor, zu der er eigentlich ursprünglich hätte kommen sollen. Er sagte nun klipp und klar, daß er die ÖVU nun verlassen werde, wenn er noch länger bei der Außenstelle bleiben müsse. Nach einer Vorsprache des Vermessungsleiters Herb beim vorgesetzten Baudirektor wurde K. unverzüglich in die Direktion gerufen. Der Baudirektor entschuldigte sich mehrmals, daß man offensichtlich auf K. in der Außenstelle vergessen hatte, versicherte ihm daß man auf einen derart engagierten Mitarbeiter natürlich nicht verzichten wolle und wenige Tage später wurde K. versetzt.

K. war froh als er die Außenstelle verlassen konnte und auch diese war umgekehrt froh, daß sie niemand mehr mit lästigen Fragen nach mehr bzw. überhaupt nach Arbeit quälte. K. arbeitete ab nun in der Vermessungsabteilung der altehrwürdigen Direktion.

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