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Kap 20: Die Versuchung

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Seit kurzer Zeit arbeitete K. auch häufig mit einer gewissen Anna zusammen. Er konnte nicht genau sagen was ihm an ihr so gefiel: sie war auf den ersten Blick sicher nicht gerade häßlich, hatte aber auch keines jener Merkmale die normale Männerherzen sofort unwillkürlich höherschlagen lassen wenn sich zufällig die Wege mit einer solchen Dame kreuzen: keine langen Beine, keinen üppigen Busen, kein auffallend hübsches Gesicht aber in Summe war sie eine recht manierliche Person. Zusätzlich hatte sie eine Art die K. offensichtlich sehr faszinierte und sie hatte etwas was man einfach hat oder auch nicht: Ausstrahlung – zumindest für K. hatte sie das mehr als ausreichend.

Jahrelang hatte er keiner anderen Frau nachgeschaut oder nur an eine andere Frau gedacht als an Angelika. Aber diese Frau, die zwar immer sehr nett aber völlig unverbindlich war und ihm auch nie Anlaß zur Vermutung gegeben hatte, daß da mehr als rein berufliches Interesse vorhanden sein könnte, beschäftigte K. doch seit geraumer Zeit mehr als einem verheirateten Mann wahrscheinlich zustand. Aber immer wenn diese Gedanken aufkamen verdrängte sie K. gekonnt, konzentrierte sich wieder voll auf seine Arbeit und war immer und in jeder Situation Herr der Lage. Anna offensichtlich auch. Beide waren verheiratet, hatten Kinder und wußten sicher was am Spiel stand wenn sich ihre Blicke doch wieder mal länger auf so sonderbare Weise trafen, daß zumindest K. etwas irritiert war.

Unter normalen Umständen hätte sich sicher auch in 100 Jahren nichts entwickeln können bei diesen vernünftigen, fleißigen und voll auf den Beruf konzentrierten Leuten – gefährlich sind nur die besonderen Ausnahmesituationen. Eine solche Situation könnte z.B. die Teilnahme an einem gemeinsamen Seminar noch dazu weit weg vom normalen Dienstort mit Übernachtungsmöglichkeit sein. Bei dem reichhaltigen Angebot an Seminaren bei der ÖVU kann man sich natürlich vorstellen wie wahrscheinlich ein Zusammentreffen von 2 bestimmten Personen von 2 verschiedenen Dienststellen mit völlig unterschiedlichen Ausbildungsmodellen ist: die Wahrscheinlichkeit ist praktisch null und damit auch die Wahrscheinlichkeit einer solchen Ausnahmesituation.

Aber manchmal führt doch auch der Zufall Regie und K. und Anna wurden tatsächlich zu einem gemeinsamen Seminar einberufen: noch dazu nicht zu einem der üblichen Kurse in der Stadt oder in deren Nahbereich mit einer jederzeitigen Heimfahrmöglichkeit sondern 3 Tage zu einem sehr noblen Seminarhotel am Ufer eines sehr noblen Sees. K. war natürlich hocherfreut als er Anna am ersten Tag sah, und als man in der ersten Pause zwanglos plauderte stellte sich heraus, daß Anna direkt neben K.’s Zimmer untergebracht war. Wie zufällig trafen sich ihre Blicke nicht für die üblichen Zehntelsekunden sonder gut für mehrere Sekunden – das relativ harte Seminarprogramm rief sie aber wieder sofort in die Realität zurück.

An diesem Tag war K. ganz besonders gut aufgelegt und er lockerte den Frontalunterricht durch seine Scherze mehr als sonst auf – K. hatte nämlich die Angewohnheit immer wieder mit spitzen Bemerkungen die Vortragenden in Verlegenheit zu bringen und damit die Aufmerksamkeit nicht nur auf sich sondern doch auf das Seminarprogramm zu lenken. Wenn er es nicht gerade übertrieb war das gar nicht gegen die Interessen der Vortragenden. Diesmal wollte er aber vielleicht sogar im Besonderen auch Annas Aufmerksamkeit gewinnen. Anna wirkte diesmal noch cooler als sonst und niemand – auch nicht die Betroffenen selbst – hätten erahnen können, daß sich an diesem Abend noch Besonderes abspielen würde zwischen den beiden.

Am Abend setzte man sich noch mit den anderen Seminarteilnehmern zusammen, erzählte die wenigen Highlights aus dem Berufsleben, gab sich dem allgemeinen Leidensdruck hin, fand gemeinsame Berührungspunkte und genoß den vorzüglichen Rotwein – und all das in der sehr entspannten Atmosphäre des noblen Seminarhotels. Zu vorgerückter Stunde verließ K. aber doch kurz die schon recht lustige Runde und trat vor das Hotel, um etwas frische Luft zu tanken: als Nichtraucher machte ihm nach mehreren Stunden der Rauch schon sehr zu schaffen, was sich an seiner heiseren Stimme und den stark geröteten Augen zeigte.

Er betrachtete zufrieden den See in dem sich die Laternen der Seepromenade und der benachbarten Lokale spiegelten und er betrachtete die Sterne und schloß für Sekunden seine Augen. Plötzlich berührte ihn jemand leicht an seiner Schulter. Anna war offensichtlich aus denselben Beweggründen vor das Haus getreten und hatte zu diesem Zeitpunkt auch sicher nicht gewußt, daß auch K. hier stand. Nun waren halt beide zufällig gerade da, Vollmond war auch und K. tat etwas was er sonst eigentlich nie tat: er ergriff die Initiative und fragte völlig ohne Hintergedanken „Anna – gehen wir noch etwas spazieren?". Anna willigte ein und so beschloß man noch ganz kurz die Seepromenade entlangzugehen und etwas frische Luft zu tanken bevor man sich auf den nächsten harten Tag vorbereitete.

Man muß sich natürlich nicht wundern, daß bei einem Spaziergang von 2 Menschen die sich sicher schon lange irgendwie mögen in dieser besonderen Situation an diesem besonderen Ort in einer besonderen Atmosphäre auch besondere Gedanken und Gefühle aufkommen können. Anfangs plauderten sie noch ganz ungezwungen wie sonst im Büro halt, bald bemerkten sie aber das es diesmal etwas anders war als sonst – unerklärbare Nervosität und Aufgeregtheit befiel sie: je weiter sie sich vom Hotel entfernten umso stiller und nervöser wurden sie. Dann schwiegen sie nur noch und in einer kleinen Bucht des Sees, die nur spärlich beleuchtet war, blieben sie stehen.

K. bekam wieder dieses Herzrasen aber nicht jenes das ihn während seiner Angstattacken quälte – obwohl mit Angst hatte es schon etwas zu tun: Angst seine Beziehung zu gefährden, Angst seine Angelika zu verletzen oder seine Kinder. Aber K. war auch irgendwie ein Mann und es war nun an der Zeit zu handeln und er blicke Anna tief in ihre Augen und fragte einfach „Anna eigentlich finde ich dich sehr sympathisch und manchmal wünsche ich mir es wäre sogar mehr zwischen uns". Diese Frage wäre wahrscheinlich noch ohne Folgen geblieben, hätte ihn Anna sanft oder besser noch streng und bestimmt zurückgewiesen. K. hoffte sogar insgeheim sie würde das tun, obwohl er die Antwort bereits aus ihren Augen ablesen konnte. Anna antwortete relativ rasch mit „ich auch". Wieder schauten sie sich tief in die Augen, vorsichtig berührten sich ihre Lippen und K. drückte sie ganz fest an sich. So standen sie für einige Minuten eng umschlungen und sprachen kein Wort: er legte auch am Weg zum Hotel den Arm um sie und in Gedanken versunken marschierten sie zurück.

K. schlug noch vor irgendein Lokal zu besuchen, obwohl beide zu diesem Zeitpunkt keinen Bissen runtergebracht hätten und der Durst den sie verspürten wäre auch durch kein Getränk zu löschen gewesen. Sie gingen trotzdem nicht direkt auf schnellstem Weg zum Hotel zurück um noch Zeit für die Entscheidung zu haben die spätestens im Hotel fallen mußte. Es war ein eigenartiges Gefühl denn seit Jahren hatte K. keine andere Frau mehr in den Armen gehalten als Angelika – er befand sich in einem schlimmen Wechselbad der Gefühle: einerseits hatte er doch starkes Verlangen nach Anna, andererseits meldete sich auch vehement sein schlechtes Gewissen seiner Familie gegenüber. Anna hatte wahrscheinlich ähnliche Probleme obwohl sie doch meinte die Familie sei die eine Sache und dies hier sein eine andere Sache und irgendwie hatte sie dabei wahrscheinlich nicht ganz Unrecht.

Nun waren sie beim Hotel angelangt und jede weitere Verzögerung wäre sinnlos und lächerlich gewesen. Nachdenklich und darauf bedacht nur keinen anderen Seminarteilnehmer zu treffen begaben sie sich in den ersten Stock und standen ratlos vor ihren Türen. K. war plötzlich wieder wildentschlossen dieser Versuchung zu widerstehen, versuchte sich von Anna so schnell als möglich zu verabschieden und hatte damit natürlich nicht wirklich Glück. So schnell konnte er sich nicht aus der Affäre ziehen, denn Anna fragte ihn nur mit funkelnden Augen „Kommst du jetzt noch mit auf ein Glas Rotwein". K. bekam nun völlig weiche Knie, zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub, fand daher nur schwer ins Schlüsselloch und antwortete mit „ich glaub es ist besser ich lasse es sein" bevor er fast in sein Zimmer stolperte.

Natürlich hörte er noch Annas letzten Satz „Ich wünsche dir eine gute Nacht, du kannst es dir ja noch überlegen". Er war jetzt schweißgebadet und kämpfte mit letzter Kraft gegen diese übermächtigen Gefühle an und war nervlich beinahe am Ende. Treu zu sein ist ja keine Kunst wenn man nicht in einer Situation ist wo man dies auch beweisen kann beruhigte sich K. dann zwischendurch. Erst die eiskalte Dusche ließ K. wieder etwas zu Besinnung kommen und so gewann er noch ganz knapp den Kampf, der schon fast aussichtslos und verloren schien. Eine starke Beruhigungstablette ließ ihn sogar die ganze Nacht durchschlafen und vetrieb die quälenden Gedanken, ob es nicht doch besser gewesen wäre an die Nachbartür zu klopfen.

Als er am nächsten Tag dann Anna traf war natürlich nichts mehr so wie vorher: sie hatten ihre Gefühle gezeigt, man kannte die geheimen Wünsche des anderen und es war daher nicht mehr leicht ein ungezwungenes Gespräch zu führen. Sie gingen sich in den weiteren Tagen des Seminars und dann auch noch später aus dem Wege so gut es nur ging. Erst im Laufe der nächsten Monate konnten sie wieder dieses gute und freundschaftliche Verhältnis aufbauen – aber ganz so wie früher wurde es nicht mehr.

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