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Kap 8: Ins kalte Wasser gestoßen

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Nachdem K. nun seine Schuldigkeit im Büro Holinka getan hatte, besucht er einige Tage vor seinem offiziellen Dienstantritt die Universität, um die Stätte seines künftigen Wirkens etwas genauer zu erforschen.

K. war noch nie zuvor in dieser noblen Gegend gewesen und war sehr angetan von den gepflegten Universitätsgebäuden mit den schönen Marmorstiegen und den vielen Säulengängen. Verglichen mit der Universität an der er studierte, war diese hier viel kleiner und in letzter Zeit - das hatte er von Holinka erfahren - dem großen Studentenandrang eigentlich gar nicht mehr gewachsen.

Das Studium der Kulturtechnik, der Forstwirtschaft, der Landschaftsökologie war durch das gestiegene Umweltbewußtsein in den letzten Jahren sehr in Mode gekommen. Die vielen Studenten die hier ein- und ausgingen ließen in K. innerlich eine leichte unbestimmbare Angst aufkommen, eine Angst die gepaart war mit der Neugier auf die kommenden Aufgabe hier an dieser schönen Universität.

Er spazierte durch den nahegelegenen Park und bewunderte das satte Grün der Parkanlagen, die leuchtenden Blumenbeete und erstmals nach langem hörte er sogar wieder unzählige Vögel zwitschern. Das alles hatte es in der grauen Innenstadt nicht gegeben.

K. hätte noch viele Stunden in diesem wunderschönen Park verbringen können aber er hatte noch vor seine neuen Kollegen kurz zu besuchen und das Notwendigste zu besprechen.

Die Institutsgebäude waren etwas abgelegen vom Hauptgebäude der Universität aber von außen auch sehr eindrucksvoll.

Auch hier herrschte ein regelrechtes Gedränge vor dem Eingangstor und viele Studenten grüßten K. freundlich. Er war etwas verwundert, denn er kannte ja alle diese jungen Menschen nicht. Manche musterten ihn genau, andere lachten verstohlen, wieder andere drehten sich nach ihm um und erst jetzt dämmerte es K., daß das wahrscheinlich sogar einige "seiner" Studenten waren, die er in den nächsten Wochen in die hohe Kunst der Landvermesserei einzuführen hatte.

K. grüßte nun natürlich sofort heftig zurück, versuchte sein freundlichstes Gesicht zu machen und schwebte schon beinahe stolz die letzten Stufen bis in den 3. Stock hinauf.

Er klopfte an der Tür von Professor Holinka zuerst zaghaft und dann immer lauter und fordernder bis ihn dann nach geraumer Zeit die Sekretärin aus dem Nebenzimmer erlöste: "Der Herr Professor ist heute nicht da, kommen sie in seiner Sprechstunde am Mittwoch zwischen 10 und 12" erklärte sie, bevor sie die Tür wieder zuschlagen wollte. K. mußte aber ziemlich dumm geschaut haben, denn nur Sekunden später fragte sie nach "Sind sie der neue Kollege?". Nachdem K. diese bejahte, zerrte sie ihn sofort ins Zimmer, denn sie hatte noch einige wichtige administrative Dinge mit ihm zu besprechen.

"Der Herr Professor wird übrigens die beiden nächsten Wochen nicht hier sein, besprechen sie alles weitere mit Kollegen Günther", rief sie K. nach, als er das Sekretariat verließ.

Zum Glück traf er Günther noch an und dieser stellte ihn gleich den anderen Kollegen Werner, Hubert und Manfred vor. Man plauderte über den Studienbetrieb, man erzählte sich Anekdoten über die Studenten und man redete natürlich auch über Holinka und stellte gemeinsam fest, daß er eigentlich weder im Büro noch an der Uni häufig anzutreffen war. Aber Holinka war auch irgendwie ein großer Manager der überall und nirgends anzutreffen war und immer mit zwei großen schwarzen Koffern vollgestopft mit wichtigen Unterlagen unterwegs war.

Plötzlich mußten alle Kollegen wieder weg in ihre Vorlesungen und K. blieb allein im Besprechungszimmer zurück und ärgerte sich, daß er vergessen hatte zu fragen, was eigentlich die nächste Woche zu tun war.

Mit der Gewißheit, daß es in der nächsten Woche schon nicht so heiß hergehen würde, verbrachte K. ein äußerst geruhsames Wochenende und nutzte die schönen Herbsttage noch für einen Ausflug mit Freunden und Angelika ins Grüne. Die alten vergilbten Skripten aus seiner Studienzeit in denen K. noch etwas nachlesen wollte blieben allerdings unangetastet.

K. hatte schlecht geschlafen am Tag vor seinem Dienstantritt und war daher schon zeitig auf und eigentlich schon viel früher als geplant an der Uni. Dort empfing ihn sofort Günther mit seltsamer Freundlichkeit. "Gut daß du schon da bist; ich muß jetzt für zwei Stunden weg, vielleicht kannst du gleich deine Übungsstunde selbst abhalten - ich stelle dich kurz vor", sagte er.

K. glaubte in den Erdboden versinken zu müssen und er bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Es war wieder diese unerklärbare, undefinierbare Angst, die er früher bei den Redeübungen an der Schule verspürte oder bei Anlässen bei denen er vor mehreren Leuten etwas sagen mußte. Er versuchte Günther noch umzustimmen und bat ihn förmlich doch diese eine einzige Stunde noch abzuhalten, er würde ihn auch gerne in seinen Übungsstunden unterstützen, er hätte ihm wahrscheinlich alle Vorlesungen des Semesters abgenommen wenn er nur diese eine Stunde noch für ihn gehalten hätte.

Günther antwortete aber freundlich und bestimmt "Irgendwann mußt du ohnehin ins kalte Wasser springen und am besten ist es wenn du es gleich tust - zieh dir vielleicht noch einen Arbeitsmantel über".

K. fand im Kasten noch einen viel zu engen weißen Arbeitsmantel seines Vorgängers und mit seiner weißen Hose erinnerte er eher an einen Arzt als an einen Universitätsassistenten - und einen Arzt hätte er jetzt gut brauchen können, er war fast am Rande eines Nervenzusammenbruchs.

Mit seinen neuen Holzpantoffeln stolperte er fast die Stufen zum 2. Stock hinunter und es war ihm irrsinnig peinlich, daß diese blödsinnigen Pantoffeln gerade jetzt so einen Höllenlärm machten wo er sich am liebsten weggeschlichen hätte.

Als sie sich langsam dem Hörsaal E näherten, hörten sie schon von Weitem das dumpfe Gemurmel der offensichtlich zahlreich erschienenen Studenten. K. suchte noch eine letzte Möglichkeit irgendwie ohne Gesichtsverlust aus der Sache herauszukommen aber es war zu spät: Günther hatte die Tür bereits geschlossen. Der Hörsaal war gefüllt bis auf den letzten Platz und augenblicklich trat Ruhe ein als Günther und der "Neue" den Raum betraten. Günther begrüßte die Anwesenden zur mittlerweile schon dritten Übungsstunde und stellte K., der gerade unterwegs war in die etwas im Dunklen liegende Ecke des Hörsaals. K. zitterte, hatte Angst, hatte Schweißausbrüche und starrte verständnislos auf die fast 100 Studenten.

Er klammerte sich noch an den letzten Strohhalm, daß Günther vielleicht doch diese eine Stunde abhalten würde und er in der Ecke des Saales zusammengekauert am kleinen Schreibtisch das Ganze aus der Distanz verfolgen könne, vielleicht noch etwas lernen können von Günther. Doch Günther war auch jetzt wieder freundlich aber unerbittlich und er übergab K. das alte Skriptum mit dem Hinweis wie weit er das letzte Mal gekommen war und auch noch einige Folien bevor er den Saal verließ und K. damit seinem Schicksal.

K. der es während seiner Studienzeit als Landvermesser meist mit 10-20 Studenten zu tun hatte, blickte nun in die Augen von fast 100 stämmigen Forstwirten. Sie trugen teilweise Bärte, waren teilweise gekleidet in grüne Hemden, Pullover und Hosen und bei manchen vermutete K. sogar einen leicht aristokratischen Einschlag.

Auf die Mädchen die K. sonst immer so interessierten traute er sich gar nicht hinzuschauen aber er vermutete ungefähr 5 und manche hätte er unter anderen Umständen wahrscheinlich als hübsch bezeichnet. Alle blickten entschlossen nach vorne und wollten, daß es nun endlich weitergehe: man liebte zwar das Fach "Vermessungswesen" nicht besonders aber wenn man schon so zeitig aufgestanden war, dann sollte es auch zügig weitergehen und auch bald wieder vorbeisein.

K. versuchte umständlich den Overheadprojektor in Betrieb zu nehmen, erinnerte sich aber noch rechtzeitig an die immer bei diversen Vorträgen gesehenen ähnlichen gescheiterten Versuche von Vortragenden, die meist allgemeines Gelächter hervorriefen. Er entschloß sich daher für einen Vortrag an der Tafel, denn Kreide war offensichtlich genug vorhanden - bei den ersten Sätzen an der Tafel bereute er seinen Entschluß schon wieder, denn es gelang ihm tatsächlich dieser Tafel Laute zu entlocken, die er selbst zuvor noch nie gehört hatte und die die Studenten in große Unruhe versetzten.

Nach mehreren Versuchen gelang es ihm doch einige Formeln für die Polygonzugsberechnung an die Tafel zu schreiben und er erkundigte sich in regelmäßigen Intervallen ob es noch offenen Fragen gäbe.

Als er sah, daß alles ganz gut lief, versuchte er sogar ganz vorsichtig kleine Scherze in seinen Vortrag einzubauen; die freundlichen Lacher einiger weniger Studenten ermutigten ihn und nahmen ihm die anfängliche Angst und Scheu. Langsam merkte er, daß ein leichter Funke übersprang auf die Studenten: manche stellten sogar Zwischenfragen und gaben K. damit die Chance die Beziehung zu den Hörern zu vertiefen. Die Studenten hatten offensichtlich Verständnis für den Neuen und seine Hilflosigkeit: sie stellten einfache, leicht beantwortbare Fragen und wollten K. in keiner Weise bloßstellen.

K. kam jetzt sogar richtig in Fahrt, wechselte von der Tafel zum Tisch und umgekehrt und ging sogar durch die Bankreihen, schaute in die Arbeitsblätter, stellte Fragen und bekam die Situation zusehends in den Griff. Er hätte sogar fast vergessen, daß die 2 Stunden schon vorbei waren, wenn die Studenten nicht pünktlich nach 2 Stunden (eigentlich nur 1 1/2) alles hätten fallen lassen und den Saal wahrscheinlich auch verlassen hätten wenn K. nicht offiziell die Übung beendet hätte.

Nur 2 Minuten nach dem Ende war der gesamte Hörsaal auch schon leer und die ganze Studentenmasse schon zur nächsten Vorlesung geströmt. Vor der Tür warteten schon die nächsten hundert Studenten aber nicht mehr auf K., der seine Unterlagen zusammenraffte und ebenfalls fluchtartig durch das Spalier der Neuankommenden den Hörsaal verließ, sich ein Stockwerk höher in sein Zimmer schleppte und dort erschöpft in den Sessel sank.

K. die Arbeit immer leichter von der Hand und die Arbeit mit diesen Studenten, mit seinen Forstwirten oder - wie er manchmal vor Kollegen sagte - mit seinen Buben (und dazu gehörten auch die 5 Mädchen) gefiel ihm immer besser. Er sah, daß sie viele Dinge der Landvermesserei wirklich bereits verstanden hatten und er freute sich über das große Interesse in den Übungsstunden und darüber, daß auch die schriftlichen Arbeiten immer besser wurden.

K. versuchte alle gerecht zu beurteilen und war froh, daß er am Ende nur 3 Kollegen negativ beurteilen mußte.

Auch die 3 Adeligen aus dem Geschlecht der Wichtenstein, Tappany und Melan auf die man - wie Holinka meinte - ganz besonders aufpassen müsse hatten es ohne Schwierigkeiten geschafft und K. war auch darüber ganz froh, denn er hätte keine Interventionen von irgendeiner Seite geduldet weder von Holinka noch von jemanden anderen - ihm waren alle gleich lieb und wert.

K. freute sich nun auch schon ganz besonders auf die Feldarbeiten im Sommer, die nun schon zum 22. Mal im Schloß Niederlehen abgehalten wurden, und wo er dann die Gelegenheit haben würde seinen Studenten die Landvermesserei nicht nur in der trockenen Theorie sondern auch in der Praxis näherzubringen.

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