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Kap 6: Das Vermessungsbüro

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Noch bevor K. die letzten Prüfungen absolviert hatte, hatten bereits einige Büros bei ihm vorgesprochen, darunter auch die Firma ÖVU die später noch öfters erwähnt werden wird. Gerade die Firma ÖVU bekniete ihn fast förmlich zu Ihnen zu kommen - doch K. lehnte ab, denn er hatte bereits Professor Holinka versprochen in seinem Büro zu arbeiten: und was K. versprochen hat, hat er meist gehalten (K. wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß sich diese Eigenschaft später noch oft als Nachteil herausstellen würde).

Wie gesagt K. hatte großes Glück, denn K. kannte sich auch sehr gut mit EDV aus und die EDV hatte halt Zukunft.

Kurz bevor es allerdings richtig los ging verbrachte K. noch einige schöne Wochen in Griechenland, wo er endlich nach dem langen und oft eintönigen Studium einmal richtig ausspannen und mit der Seele baumeln konnte.

Und auch privat hatte K. Glück. Gerade wo er am wenigsten damit gerechnet hatte, lernte er ein recht interessantes Mädchen kennen er hatte von Anfang an das Gefühl es könnte die Frau seines Lebens werden. Der kühle, trockene Techniker K. konnte sich nun endlich auch von seiner anderen Seite zeigen und er selbst lernte sich von seiner anderen Seite kennen. Plötzlich waren nicht nur mehr Zahlen und Formeln wichtig, Seiten und Winkel, Koordinaten und Koordinatensysteme. Diese Frau passte eigentlich gar nicht so richtig in sein Schema aber es war schön mit Angelika - auch wenn K. irgendwie Angst hatte, daß sie ihn gar bremsen könnte bei seiner ersten großen beruflichen Herausforderung.

K. trat nun erstmals seinen Dienst an - keiner im Büro konnte eigentlich verstehen, daß Holinka einen Mann aufnahm und zur gleichen Zeit 14 andere Leute entließ - aber so ist halt das Leben. Dieser Umstand war wahrscheinlich auch ein Grund warum K. dieses Büro als kalt - als eisig kalt - empfand. Man grüßte zwar, man redete auch das Notwendigste aber irgendwie hatte sich K. das alles anders vorgestellt. Er erinnerte sich wehmütig an seine Ferialzeit im gerade im Bau befindlichen Krankenhaus, wo er viel mit den anderen Kollegen gescherzt hatte und trotzdem alles zur Zufriedenheit erledigt wurde.

Er trauerte dem Büroleiter nach, der immer versuchte seine Mannschaft flott zu bekommen um doch nach kurzer Zeit zu resignieren und wieder von seiner großen Liebe zu erzählen: und alle lauschten gespannt. K. hatte mit Werner ein besonders inniges Verhältnis: einmal nahm ihn Werner sogar auf einen kurzen Segelflug mit. K. wehrte sich lange aber dann überwog doch die Neugier: nach dem ersten Looping wo er dann kurz über Werner zu liegen kam und dem freien Fall um ca. 100m und der gerade noch geschafften Landung (Werner hatte angeblich nur bei diesem Flughafen immer wieder leichte Probleme) war K. heilfroh, daß er wieder festen Boden unter den Füßen hatte und er schwor sich, nie wieder in so ein Flugzeug einzusteigen.

All das gab es im Büro Holinka nicht. Aber die Arbeit ging trotzdem überraschend gut voran, nachdem K. endlich den vor einem halben Jahr auf Verdacht gekauften und schon wieder hoffnungslos veralteten Computer in Schwung gebracht hatte.

Nur ein kleines Problem zeichnete sich ab: der alteingesessene EDV-Guru Jonny betrachtete K. sehr argwöhnisch. K. war ja noch sehr jung und man kannte ihn noch kaum. Jonny wollte natürlich Berichte, Zwischenberichte, Abstimmungen, Kontrollen. Doch K. war kein Mann der großen Worte - er wollte realisieren und informieren wenn er es für zweckmäßig hielt. K. war leider nie ein Diplomat und spätestens jetzt sah K., daß das Berufsleben doch gewisse Unterschiede zum Studium aufweist.

Viele Wochen gingen durchs Land und K. hatte speziell morgens immer stark gerötete Augen durch die anstrengende Arbeit am Computer. K. hatte nie geglaubt jemals mit einem Computer derartig innig kommunizieren zu können, sodaß dieser nach Eingabe der abenteuerlichsten Formeln und Algorithmen tatsächlich die unglaublichsten Ergebnisse, Tabellen und Kurven lieferte.

Auch mit den Kollegen ging es immer besser: man war nicht böse auf K. aber man redete halt überhaupt nicht viel untereinander. K. hatte sich entschlossen mit den Kollegen gemeinsam das Mittagessen einzunehmen denn K. dachte insgeheim, daß man sich hier sicher näherkommen würde.

K. hatte sich aber gründlich getäuscht: das gemeinsame Mittagessen gehörte sicher zu den stillsten Momenten am Tag und durch die unendliche Stille wäre es für K., der im wesentlichen ohnehin ordentliche Tischmanieren hatte, unvorstellbar gewesen auch nur ansatzweise zu schlürfen oder andere Unsitten hervorzukehren. Vor dem Computer entfuhr K. doch manchmal ein "Ach", ein "Aha", ein "Nein das darf nicht wahr sein" oder in Extremsituationen ein "Sch....". Aber beim Mittagessen war es ganz still. K. versuchte ganz zu Beginn noch Jonny und die anderen in ein Gespräch zu verwickeln, doch die strengen Blicke der anderen verwiesen K. immer rechtzeitig in die Schranken. Nach einer halben Stunde war der Spuk allerdings vorbei und man konnte wieder richtig aufatmen.

K. war natürlich schon nach einem halben Jahr als ein EDV-Guru verschrieen, den man am besten im Haus einsperrt : K. war darüber nie ganz glücklich, denn ein Landvermesser gehört eigentlich aufs Feld. Die Bitte einmal auch einen Außendienst mitmachen zu dürfen wurde zunächst abgeschmettert. "K. wollen Sie haben, daß sie die U-Bahn zusammenführt?", oder "K. wollen Sie in einen Schacht stürzen?" waren die üblichen Antworten. Doch einmal war der Büroleiter offensichtlich in guter Stimmung und man schickte K. in den Außendienst.

Nach einigen Minuten war allerdings sofort die Freude wieder der Ernüchterung gewichen. Man hatte nämlich K. nicht mitgeteilt, daß die Vermessung für die Rohrvorpressung nicht ganz ungefährlich war. Man hatte einfach vergessen ihm zu sagen, daß nur ein ganz schmaler Weg durch die mit Gleitmittel gefüllte Röhre führt.

K. wich prompt vom richtigen Weg vollbepackt mit Vermessungsutensilien ab und stand bis zu den Knien in dem ekeligen Gleitmittel, das ihm die Gummistiefel bis zum Rand füllte. Die anderen Kollegen zeigten sich sofort hilfsbereit und begannen K. mit vereinten Kräften zu säubern - der Tag war allerdings gelaufen.

K. hatte nun eingesehen, daß dieser Außendienst wirklich nichts für ihn war und er hatte auch erstmals das Gefühl, daß - bevor natürlich K. den Raum betrat - beim gemeinsamen Mittagessen geredet und gescherzt wurde. K. hatte also offensichtlich wirklich etwas zur Kommunikation im Büro beigetragen und war ab jetzt nun mit seiner Arbeit wieder sehr zufrieden.

Allerdings nicht mehr mit seinem Gehalt. Nachdem etwas Gras über die "Gleitmittelaffäre" gewachsen war, glaubte K. nach zwei Jahren im Büro nun doch einmal eine Gehaltserhöhung fordern zu können und er wollte unbedingt diesbezüglich bei Professor Holinka vorsprechen. Holinka war für K. immer unerreichbar, Holinka redete nie mit K., er war aber auch selten da.

Nur gleich zu Beginn hatte er ihn mal von hinten mit jemanden anderen verwechselt: "Herr Alex, ich habe sie schon länger nicht gesehen" sagte er zu K. und war peinlich berührt als er sah, daß ein Unbekannter vor ihm stand (Alex wurde ja kurz vorher entlassen). K. hatte später Alex noch einmal getroffen und feststellen müssen, daß von hinten wirklich eine große Ähnlichkeit bestand - damit war Holinka wieder rehabilitiert.

Nach wiederholter Anfrage um einen Termin beim großen Holinka war es dann doch soweit: Holinka teilte K. gleich zu Beginn mit, daß er nur wenige Minuten Zeit habe und dann gleich wieder weg müßte. Das verunsicherte K. natürlich und brachte ihn sofort in eine schwache Verhandlungsposition. Professor Holinka bedankte sich mehrmals für die gute Zusammenarbeit und die hervorragenden Leistungen wies aber auch sofort auf die Tatsache hin, daß die wirtschaftliche Situation besonders jetzt sehr schwierig sei. Und außerdem gäbe es jetzt sehr viele junge Ingenieure am Markt. Und mit der EDV alleine: das sei halt zuwenig.

K. verließ sehr deprimiert das Zimmer von Holinka. Er wußte zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, daß er Jahre später viel dafür gegeben hätte ein derart konstruktives Gespräch mit einem Vorgesetzten zu führen.

K. versuchte ab diesem Zeitpunkt der Arbeit im Büro Holinka trotzdem positive Aspekte abzugewinnen. Er hatte herausgefunden, daß es im Büro eine sehr komfortable Dusche für die Putzfrauen gab, die praktisch nie benutzt wurde. Da K. in einer kleinen Zweizimmerwohnung mit Kaltwasser wohnte, hatte er bald die Vorteile dieser Dusche erkannt. Am Anfang war es ihm noch peinlich als er manchmal nach Dienstschluß mit dem Handtuch bewaffnet noch auf Kollegen traf . Aber er wußte, daß EDV-Leute ohnehin oft als Spinner gelten und nahm an, daß die Kollegen schon Verständnis haben würden.

Ein weiterer Vorteil hatte sich ergeben. K. hatte einen günstigen Friseur in der Nähe des Büros ausfindig gemacht und sogar einen günstigen Bürospezialtarif ausgehandelt. Und nach dem Friseurbesuch wurde sofort wieder im Büro geduscht, denn K. haßte nichts mehr als die vielen kleinen Haare im Hemd die immer fürchterlich juckten und ihn fast zum Wahnsinn trieben.

Nachdem er nun all diese kleinen unbezahlbaren Vorteile zu nutzen wußte und zu schätzen gelernt hatte, war er umso mißtrauischer als eines Tages der große Holinka ins Büro rief. An eine Gehaltserhöhung dachte K. nicht mehr, also rechnete er mit dem Schlimmsten.

Professor Holinka eröffnete. "Lieber Kollege K. Ich muß Ihnen mitteilen, daß wir in nächster Zeit kleinere Umstrukturierungen im Büro vorhaben. Wir können uns keinen zweiten EDV-Mann leisten". K. verfiel zusehends und hörte schon die weiteren Worte des Professors nur mehr aus weiter Ferne. Nachdem er sich aber wieder etwas erholt hatte, vernahm er gerade noch die letzten Worte "Aber ich mache Ihnen ein Angebot: kommen sie zu mir an die Uni - ich lasse ihnen eine Woche für Ihre Entscheidung Zeit".

Also hat sich dieser alte Fuchs Jonny doch durchgesetzt und erstmals glaubte er sogar ein freundliches, fast väterliches Lächeln in Jonnys Gesicht zu erkennen als er Holinkas Zimmer verließ. Gerade Jonny war in den nächsten Tagen sehr freundlich - fast könnte man sagen zuvorkommend - zu K. Auch er würdigte erstmals die großen Leistungen im EDV-Bereich und meinte, daß es eigentlich schade sei einen so guten Mann zu verlieren.

K. war hin- und hergerissen aber langsam setzten die positiven Gedanken durch: "Es hätte alles schlimmer kommen können". Universitätsassistent war wohl das letzte Berufsziel, das sich K. gesetzt hatte aber Professor Holinka hatte ohnehin gesagt: "Ewig werden sie da natürlich nicht bleiben können, aber die Tätigkeit könnte ein gutes Sprungbrett sein". Auch Angelika hatte schon angedeutet, daß sie es sich durchaus mit einem Universitätsassistenten vorstellen könne.

Die Entscheidung war praktisch schon gefallen, K. fragte obwohl er es ohnehin ahnte nach: "Muß ich da auch vor Studenten vortragen?". Professor Holinka meinte nur knapp "Das lernen Sie schon noch".

Mit Schaudern dachte K. noch an seine Redeübungen im Gymnasium die allesamt ein totaler Reinfall waren und bei denen er sich immer unendlich blamiert hatte, wo er gestottert hatte obwohl er sonst nie stotterte, wo er rot bis zu den Knien wurde obwohl er sonst nur sehr selten errötete.

Der Deal war perfekt, K. stimmte zu.

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