Kap 4: Erlebnisse eines nicht braven Soldaten

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Noch während der Schulzeit bekam K. ein Schreiben von höchster Stelle, wo er aufgefordert wurde, sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zur Musterung einzufinden. Diese Musterung dient dazu die jungen Männer auf Herz und Nieren zu untersuchen und die Eignung für den harten Militärdienst festzustellen. Niemand hatte wirklich Freude damit aber keiner konnte dieser Prozedur entgehen. Einerseits wäre er ja gerne untauglich gewesen für den Dienst mit der Waffe, andererseits wollte er sich auch keine Blöße geben vor seinen gleichaltrigen Freunden aus der Ortschaft oder sich zum Gespött der ganzen Ortschaft machen.

Er war ohnehin schon irgendwie ein Außenseiter als angehender Maturant, der noch dazu daran dachte ein Studium zu beginnen, immer nur lernte, sich selten in Diskotheken mit den Mädels aus der Ortschaft oder den Nachbarortschaften herumtrieb - wenn er jetzt auch noch untauglich gewesen wäre, dann wäre er gänzlich unten durch gewesen oder man hätte ihn in die Kategorie der Drückeberger eingestuft: die Mädchen waren ihm nicht gut genug, für den Militärdienst war es sich zu schade.

Da die Auswahlkriterien dann doch nicht so hart waren und man im Wesentlichen nur darauf schaute, ob man beide Augen hatte und auch alle Gliedmaßen vollständig und am richtigen Ort waren, gab es für die gesamte Gruppe aus der Ortschaft kein Problem bei der Musterung: nur der seit Geburt schon behinderte Michl wurde nicht ausgemustert – er hatte damit aber auch nicht gerechnet und war trotzdem froh dabei gewesen zu sein.

Schon ziemlich angeheitert zog man durch die Straßen mit verrückten Hüten und Fähnchen und die ganze Ortschaft war stolz auf die jungen Männer, die nun bald bereit sein würden, die Heimat im Ernstfall heldenhaft zu verteidigen. Immer wieder wurde man von der Straße weg in ein Haus gezerrt wo der Doppler bereits am Tisch stand und darauf wartete hastig ausgetrunken zu werden. Gröhlend bedankte sich dann die Meute während sie noch aufgemuntert wurde, daß schon alles nicht so schlimm werden werde – die älteren Männer erzählten Anekdoten aus ihrer Soldatenzeit und die ganz alten ihre Erlebnisse aus den Weltkriegen, wo die Männer halt noch richtige Männer waren.

K. interessierte sich nicht wirklich für diese Geschichten, denn er haßte in Wirklichkeit alles was mit Gewalt zu tun hatte, aber der reichlich genossene Alkohol machte die Sache doch einigermaßen erträglich.

Er hatte dann die ganze Angelegenheit schon fast vergessen, doch wenige Tage nach der bestandenen Matura lag dann dieser Einberufungsbefehl im Postkasten, der ihn daran erinnerte, daß es an der Zeit war seine Pflicht zu tun. Sein Vater war sogar erstmals richtig stolz auf ihn und gab ihm den Rat sich richtig zu engagieren beim Bundesheer und sofort eine Militärkarriere einzuschlagen: er hätte damit auf der Stelle Geld verdient, wäre ihm nicht länger im Sack gelegen und er hätte immer etwas zu erzählen gehabt im Gasthaus gegenüber: die Berichte aus dem Leben eines jungen Offiziers hätten schon was hergegeben. Aber wie immer sollte K. den hohen Anforderungen des Vaters nicht gerecht werden: er taugte nichts zum Fußballer, er konnte keinen Nagel auch nur annähernd gerade einschlagen, er hatte bei allen Tätigkeiten im Haus und Garten 2 linke Hände, er hatte nicht einmal noch eine Freundin in seinem Alter – in diesem Alter war er ja schon verheiratet und hatte sich seine Hörner bereits weitgehend abgestoßen – und auch zum Offizier taugte er nicht wie sich bald herausstellte. Es ist schon verständlich, daß man mit so einem Buben keine besondere Freude haben konnte.

K. fand sich schon im Morgengrauen pünktlich am Schlagbaum vor der Kaserne ein und betrachtete mißtrauisch diese Gestalten in grauen Uniformen und komischen Kopfbedeckungen, die lautstark ihre präzisen Kommandos gaben und den Blick stets geradeaus gerichtet hatten. Gemeinsam mit den anderen Leidensgenossen wurde er auf einem großen Lastwagen in das Zentrum der Kaserne geführt und direkt zur Bekleidungskammer gebracht: dort versorgte man ihn mit den sonderbarsten Gewändern, die er ab jetzt zu tragen hatte.

Nichts paßte eigentlich wirklich: die Hosen waren zu groß, die Hemden und Jacken dafür zu eng, die Schuhe drückten an allen Stellen und Kopfbedeckung und Helm fand man zuerst gar keinen für ihn. Er hatte offenbar einen besonders großen Kopf und brachte die Experten der Bekleidungskammer fast zur Verzweiflung: irgendwann hatte man aber doch etwas gefunden, was zwar immer noch eindeutig zu klein war aber zumindest nicht vom Kopf fiel. K. erschrak fast als er sich im Spiegel des Waschraumes in voller Montur sah: er war ja nie besonders zufrieden mit seinem Aussehen aber so blöd wie jetzt war er sich nie mehr vorgekommen.

Wahllos wurde die ganze Kompanie nun in Gruppen eingeteilt und den einzelnen Zimmer zugeordnet: 4 bis 6 Mann mußten hier nun eingepfercht auf engsten Raum die nächsten Monate gemeinsam verbringen. K. war hier der einzige Maturant und wurde gleich zu Beginn gehänselt: man hatte ja nicht wirklich was gegen ihn aber für die vielen Frustrierten, die für den Militärdienst immerhin die Freundin oder sogar schon Ehefrau verlassen mußten, war die Hänselei eigentlich das einzige Vergnügen das ihnen noch blieb: und es war herrlich zu erleben wie schnell dieser K. bei Sätzen wie „eh klar – bist ja nur ein Maturant" in Saft ging.

Ja und auch das gesamte Kaderpersonal hatte sich traditionell gegen die Maturanten und Studenten verschworen: sie hatten es in ihren Berufen nicht zu viel gebracht, gingen irgendwann dann zum Militär und genossen es hier zu sehen, wie alle nach ihrer Pfeife zu tanzen hatten – den eingebildeten, verhätschelten Maturanten wollte man es natürlich besonders zeigen, aus denen würde man schon noch richtige Männer machen!

Nie wieder hatte K. das Gefühl seine Zeit so verplempert zu haben wie hier in der Kaserne und nie hatte er sich über längere Zeit so unwohl gefühlt wie hier beim Militär: aber er mußte hier einfach durch. Zuerst machte er ja noch gute Miene zum bösen Spiel, versuchte krampfhaft lustig zu sein und sogar Späße mit dem Kaderpersonal zu treiben – so wie er es halt aus seiner Schulzeit gewohnt war und wo er eher Vor- als Nachteile damit hatte.

Die Vorgesetzten hier fühlten sich aber extrem provoziert, hatten überhaupt kein Verständnis für seine Späße und schikanierten ihn gnadenlos: für Wochen bekam er keinen Ausgang aus der Kaserne – nur einmal leuchteten seine Augen als man auch seinen Namen vorlas bei der Verteilung der Ausgangsgenehmigungen aber nur wenige Sekunden später zerriß der junge Unteroffizier dieses Papier wieder mit dem Nachsatz „leider nicht". Jetzt hatte auch K. begriffen welche Gesetze hier herrschten und er änderte sein Verhalten doch etwas.

Stillschweigend nahm er alle Demütigungen bei den Übungen hin und warf sich immer wieder in den Schlamm auch wenn er den Schleifer am liebsten dafür umgebracht hätte. Der Lohn dafür war dann der heißersehnte Ausgang : nach 4 Wochen durfte er erstmals die Kaserne verlassen und genoß das erste Wochenende in Freiheit. Die Übungen im Gelände wären trotz Schikanen noch zu ertragen gewesen, die Schießübungen hatten irgendwie sportlichen Wert, das Werfen der Handgranaten war zwar gefährlich aber auch noch einzusehen, das unsinnige Ausheben von Schützengräben hätte er auch noch geduldet, aber das endlose Herumlungern in den Zimmern auf engstem Raum mit den anderen Frustrierten war einfach nicht auszuhalten.

Stundenlang war man damit beschäftigt, den heiligen Spind so aufzubereiten, daß alle Kleidungsstücke mit exakten Kanten versehen fein säuberlich in Reih und Glied lagen – und auch bei den Betten galten die gleichen Regeln. Irgendwann hielt aber so eine Kante nicht mehr den Druck der daraufliegenden Kleidungsstücke stand, wurde leicht unsymmetrisch und war dann auf der einen Seite um eine halben Millimeter niedriger als auf der anderen: normalerweise ist so etwas mit freien Auge gar nicht sichtbar aber für den Korporal war dies ein klarer Fall: er riß den gesamten Inhalt heraus und forderte K. auf beim nächsten Mal die Sache besser zu machen.

Wenn er Glück hatte, hatte er noch einen Leidensgenossen im Zimmer und geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid: war er der einzige wurde er von seinen Zimmerkollegen natürlich angefeuert und mit allerlei guten Ratschlägen versorgt.

Noch schlimmer und strenger waren die Kontrollen bei der Braut eines jeden Soldaten: beim Sturmgewehr - hier durfte sich auch nicht das kleinste Staubkorn im Lauf befinden, denn sonst hatte man mit den schlimmsten Strafen zu rechnen: Ausgehverbot war dann das Mindeste. Man bewegte sich auf leisen Sohlen durch das Zimmer um ja keinen Staub aufwirbeln, man sprach ganz leise, denn wer kennt schon wirklich die Gesetze der Staubkörner die auf unbekannten Wegen dann doch immer den Weg ins Gewehr finden. Meist war aber trotzdem alle Mühe vergeblich und wenn auch vorher noch alles glänzte, bei der Kontrolle selbst hatten sich wieder 2 Staubkörner und ein Haar in den Lauf verirrt und machten die Arbeit eines ganzen Nachmittags zunichte.

Der Lagerkoller ergriff bald die gesamte Kompanie, die Nerven flatterten und oft entging man nur knapp einer Auseinandersetzung: man stand schon Aug in Aug bevor man doch noch vom Korporal rechtzeitig entdeckt wurde, mit saftigen Strafen belegt wurde und im gemeinsamen Absitzen der Strafe wieder zueinanderfand. Man begann förmlich die früher gehaßten Feldmanöver herbeizusehnen: viel lieber lag man im Dreck, robbte kilometerweit durch das Gelände, hob die tiefsten Schützengräben aus, tarnte sich mit Schlamm und Ruß bis zur Unkenntlichkeit, fror in den Zelten bei Eis und bei Schnee, als sinnlos in den Zimmern herumzulungern, sich gegenseitig zu provozieren und auf die Spind- und Gewehrkontrollen zu warten.

Der Hauptmann war ein sehr gestrenger Mann und hatte nicht wirklich etwas gegen Maturanten oder gegen K.: nur das gar nicht zackige Salutieren und der Abgang auf die falsche Seite brachten ihn zur Raserei: gerne hätte er manchmal K. den Urlaubsschein ja gegeben, aber ein Abgang nach dem ohnehin schon schwachen Salutieren auf die falsche Seite war nicht zu tolerieren – und so hatte er am Wochenende wieder viel Zeit, ausgedehnte Spaziergänge durch die Kaserne zu unternehmen wenn er nicht ohnehin zu einem Strafdienst eingeteilt wurde, wo er die Kaserne zu beaufsichtigen hatte.

Er war dann ganz allein und freute sich als er Montag früh wieder Menschen sah – auch wenn dann die Schikanen fortgesetzt wurden. Bald bekam er eine ganz dicke Haut und wurde beinahe immun gegen Demütigungen aller Art, und dies merkte auch das Kaderpersonal für das K. immer uninteressanter wurde – das Quälen machte einfach keinen Spaß mehr und man suchte sich neue Opfer.

Die wenigen Höhepunkte waren immer die Schießübungen, denn darin sah K. zumindest einen sportlichen Wert. Besondere Erfolgserlebnisse gab es aber auch hier nicht für ihn: er war sich zwar ganz sicher den Mittelpunkt der Scheibe getroffen zu haben, aber das heftige Abwinken mit der Anzeigestange wies darauf hin, daß er offenbar die Scheibe gänzlich verfehlt hatte. Erst viel später bemerkte er wie die Sache wirklich lief: durch einen kleinen Spalt konnte man genau sehen wer gerade an der Reihe war und in Abhängigkeit von der Sympathie zum Schützen wurde wahllos ein innerer oder äußerer Ring angezeigt oder der Schuß als ungültig gewertet.

Nach Beendigung der Schießübungen fuhr man noch ins Gelände auf ein kleines Schützenloch: die schlechtesten Schützen hatten die tiefsten Löcher zu graben. K. kannte die Gegend aber schon wie aus seiner Westentasche und er wußte genau wo die interirdischen Mauerreste von früheren Gebäuden lagen: nachdem er bereits nach wenigen Zentimetern wieder auf eine solche Mauer gestoßen war, meldete er dies natürlich viel zu spät an die Vorgesetzten und jeder mußte einsehen, daß unter solchen Umständen an ein Weitergraben nicht zu denken war. Ein neues Loch ging sich natürlich nicht mehr aus und so durfte er sich in das halbfertige werfen: sie waren sich ohnehin im Klaren, daß im Kriegsfall K. die ersten Stunden nicht überleben würde und daher auch nie ein Schützenloch zu graben hatte.

Fröhlich verließ man dann die Schießstätte auf dem alten Militär-LKW und freute sich auf den gemeinsamen Umtrunk in der Heereskantine: wie fast jeden Tag soff man sich dort nieder und dieses Saufen schweißte die Kompanie irgendwie zusammen. K. war dann kein Maturant, kein Ausgestoßener, er war fast eine Art Kamerad und beim Saufen war er auch gar nicht so schlecht. Er stieg daher von Tag zu Tag im Ansehen der Kameraden und des gesamten Kaderpersonals vom einfachen Gefreiten bis zum Hauptmann.

Es gefiel ihm auch immer besser hier, sein Vater erkannte die neue Situation sofort und lag ihm gleich wieder mit seinen Offizierswünschen in den Ohren und plötzlich bekam er das Verlangen, es jetzt allen zu beweisen: er wollte nun wildentschlossen Offizier werden. Die Miene des gestrengen Hauptmanns erhellte sich zum ersten Mal als K. mit diesem Ansinnen an ihn herantrat, vergessen waren alle Tolpatschigkeiten und man begegnete ihm nun ganz anders. Die niederen Ränge sahen in ihm schon den neuen Leutnant, grüßten freundlich und K. genoß das förmlich. Er ließ sich natürlich zu keinen Diensten mehr einteilen, denn in einigen Tagen würde er ohnehin hier weg sein, um seinen Dienst an der Militärakademie anzutreten.

Gerade einen Tag vor der Abreise erwischte ihn dann ganz so als ob es ein Wink des Schicksals gewesen wäre eine schwere Grippe. Er schleppte sich mit letzter Kraft in das Kasernenspital, wo er fast 2 Wochen lang mit hohem Fieber darniederlag, unfähig sich auch nur für kurz von seinem Bett zu erheben. Die Sanitäter pflegten ihn aufopfernd, kontrollierten immer wieder das Fieber und K. wurde von Tag zu Tag ungeduldiger: er sah nun seine Militärkarriere stark gefährdet und haderte mit seinem Schicksal – was nun Vater Karl wieder sagen würde. Nachdem sich der Gesundheitszustand doch etwas gebessert hatte, brachte man ihn eilig in die Akademie und überließ ihn dort seinem weiteren Schicksal.

Die Kaserne war menschenleer, denn alle waren schon seit 2 Wochen im Gelände und absolvierten dort die härtesten Übungen. Es war direkt gespenstisch und eiskalt in dem großen riesigen Schlafsaal, aber es war zum Glück Holz und etwas Kohle da und K. konnte sich für wenige Stunden wärmen. Er dachte in dieser Nacht noch viel nach über sich und seine Beziehung zum Heer und war sich nicht mehr ganz so sicher, ob er wirklich zum Offizier geboren war. Am nächsten Tag ließ er sich dann gründlich auf seine Eignung für die Ausbildung hier an der Militärakademie untersuchen und man kam zum Entschluß, daß K. erst nach 2-3 Wochen wieder voll einsatzfähig sein würde und damit die ersten Übungen und damit ein entscheidender Teil der Ausbildung vorbei war – damit war es auch mit der Offizierskarriere vorbei.

Man riet ihm noch sich einen Tag auszuruhen und am Tag darauf wieder in die alte Kaserne zurückzukehren. Man kann sich kaum vorstellen wie peinlich es für K. war, als er am nächsten Montag wieder in der Kaserne eintraf. Fortan wurde er nicht mehr als „Maturant" sondern als „Herr Leutnant" bezeichnet und war wieder der Mittelpunkt ständiger Sticheleien. Nur beim Hauptmann hatte er an Sympathie gewonnen, er würdigte sein Interesse am Militär und machte ihn bei der nächsten Gelegenheit zum Gefreiten was ihm natürlich bei seinen Kameraden auch keine zusätzlichen Sympathien einbrachte.

Zu guter Letzt rüsteten dann alle ab und verließen fluchtartig die ungemütlich Stätte, aber K. mußte noch 3 Monate bleiben, denn er hatte sich vor seinem Wechsel an die Militärakademie zu einer Verlängerung des Grundwehrdienstes verpflichten müssen. Neue Jungmänner rückten ein und K. war ab sofort ihr Vorgesetzer: natürlich nicht bei irgendwelchen militärischen Übungen sondern bei der Reinigung der Waschräume und der Toilettenanlagen. K. war nun 3 Monate lang uneingeschränkter Chef der „Häuslbrigade".