Kap 19: Urlaub im Waldviertel

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Die erste Zeit nach den Anfällen hatte K. natürlich noch Schwierigkeiten seinen Beruf mit vollem Einsatz auszuüben. Er ließ es sich zwar nicht anmerken, aber plötzlich überkamen ihn auch mitten in der Arbeit diese seltsamen Angstanfälle – mitten in einer Besprechung zum Beispiel oder auch im Außendienst. Trotz seines Gewichtes hatte er sonst keine Schwierigkeiten über die steilsten Böschungen zu klettern, die oft weit entfernten Festpunkte aufzusuchen und die Messungen rasch voranzutreiben, aber jetzt hatte er manchmal wirklich Probleme bei körperlichen Anstrengungen.

Zusätzlich hatte er gerade jetzt ein sehr heikles Problem mit dem „Narrischen in der Gruam" zu lösen. Dieser Anrainer machte erhebliche Probleme bei einer Grundeinlösung und war fuchsteufelswild als ihn K. die eigentlichen und laut Kataster ersichtlichen Grenzen seiner Grundstücke zeigte und sich herausstellte, dass die Hälfte seines Grundstückes gar nicht ihm sondern teilweise der ÖVU bzw. seinen Nachbarn gehörte.

So brutal in die Realität zurückgeholt ist es natürlich auch nur zu verständlich, daß er K. vom ersten Tag an mit wüsten Beschimpfungen eindeckte und selbst wenn man aufgrund von K.’s Berechnungen die tief vergrabenen Grenzsteine fand, fragte er immer wieder, ob K. wohl sein Diplom in der Baumschule bekommen hätte. Er schimpfte auf die ÖVU, auf die Behörden die ihn schon vor 10 Jahren betrogen hätten, auf die bösen Nachbarn, die ganze Gemeinde und den überheblichen Bürgermeister speziell.

Etwas außerhalb der Gemeinde lebte er hier fernab jeder Zivilisation wie ein Eremit mit seinen 2 scharfen Hunden und seiner Lebensgefährtin, die ziemlich emotionslos die ganzen Ereignisse verfolgte. Man überlegte schon den Weg weit herum um den Narrischen zu bauen und hätte lieber erhebliche Mehrkosten in Kauf genommen, um nur nicht anzustreifen an ihm. Doch K. wollte gerade jetzt nicht aufgeben, wo ihm dieser Mensch in seiner schwierigen Phase bereits soviel Kraft und Nerven gekostet hatte; unermüdlich verhandelte er weiter bis er doch herausgefunden hatte, worum es diesen Spinner ging und er lies sich auch durch starke Worte wie „jetzt hole ich mein Gewehr und erschieß euch alle" oder „jetzt hetze ich meine Hunde auf euch" nicht abschrecken. Nach Wochen war dann doch eine Lösung gefunden mit der alle Beteiligten leben konnten – der Spinner lies sein Gewehr im Schrank und seine Hunde an der Kette, er bekam zahlreiche Grundflächen dazu und der Weg rückte auch nun etwas von seiner verfallenen Hütte ab.

Dies waren eigentlich die ersten unliebsamen Erlebnisse in seinem geliebten Waldviertel wo er sonst nur Positives erlebt hatte und er sich immer wieder Kraft und Energie für Beruf und Familie geholt hatte.

K. war nach diesen Verhandlungen so fertig und geschafft, daß er seinen Urlaub sogar früher als sonst antrat: er wollte ihn diesmal unbedingt im Inland verbringen und gerne auf den Streß einer Flugreise verzichten und außerdem hatte er seit seinen Angstanfällen auch unbewußt Flugangst: allein die Vorstellung in einem engen Flugzeug zu sitzen, hoch oben in der Luft, wo es kein Zurück und kein Entrinnen mehr gab, wo er nur mehr seinem Schicksal überlassen war und nichts mehr selbst steuern konnte, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn. Zufällig hatte er anläßlich eines Verkaufs von ÖVU-Objekten im Waldviertel auch die idyllische Grenzstadt Litschau kennengelernt und sich sofort in das liebliche Feriendorf am Ufer des Herrensees – eigentlich Herrenteichs, denn im Waldviertel gibt es zwar tausende Teiche aber keine Seen – unsterblich verliebt. Das wäre doch auch etwas für die Familie dachte er und er konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, daß er hier in den nächsten Jahren noch mehr Geld ausgeben würde als wahrscheinlich sogar die gerade verkauften ÖVU-Objekte wert waren.

Es soll hier nicht beschrieben werden wie umständlich und beschwerlich es ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Waldviertel und speziell in diese Gegend zu kommen aber irgendwie war Litschau doch erreichbar im Unterschied zu anderen Dörfern hier und irgendwie hatten sie es dann doch geschafft bis zum Feriendorf und erschöpft bezogen sie eines der sauberen Appartements, die in die sanfte Hügellandschaft des Waldviertel hineingebaut waren mitten unter mächtigen Granitblöcken und uralten Bäumen.

Erstmals seit langer Zeit konnte K. mal wieder richtig abschalten und spürte förmlich wie ihm die Waldviertler Luft neue Kraft und Energie gab. Es gab nichts schöneres als die Abendsonne zu betrachten, die sich über den Herrensee ausbreitete bevor sie ganz langsam hinter den Wipfeln der meterhohen Bäume verschwand - an nichts denken, an absolut nichts, frei mit der Seele baumeln, den leichten Abendwind genießen und förmlich spüren wie es wieder bergauf ging: keine ÖVU im Hinterkopf, keine Projektgruppe „Skepsis" und eigentlich überhaupt nichts im Kopf. Einfach nur seinen Kindern zuschauen wie sie am Spielplatz herumtollten, zwischen den Steinen spielten und nicht unermüdlich wurden an irgendeinem Gerät am Spielplatz hinaufzuklettern und wieder herunterzufallen.

Auch den Kindern gefiel es offensichtlich gut hier und Matthias und Caroline konnten sich hier fernab der Großstadt richtig austoben und merkten erstmals, daß sie nicht nur eine Mutter sondern auch einen Vater hatten. Diese Erkenntnisse waren manchmal sogar etwas schmerzhaft, denn K. versuchte erstmals aktiv in die Erziehung einzugreifen was die Kinder doch etwas befremdete und manchmal sogar Mißtrauen hervorrief. Bald sah auch K. ein, daß Angelika doch besser mit den Kindern umgehen konnte und versuchte ihr nicht weiter ins Handwerk zu pfuschen, den Kindern und ihr gute Ratschläge zu geben sondern überließ alles seinem freien Lauf , lehnte sich in seinen Liegestuhl zurück und versank wieder in seine Bücher über Kraft des positives Denkens, den Sinn des Lebens und die Macht des Unterbewußtseins.

Es soll aber hier nicht so erscheinen, daß K. nur auf der faulen Haut gelegen wäre: nein er war ganz besonders angetan von den ausgedehnten Wanderungen in dieser herrlichen Landschaft am nördlichsten Zipfel des Landes. Regelmäßig trafen sich zur Mittagszeit jeden Donnerstag und Sonntag eine Gruppe von Einheimischen und Feriengästen, die dann mit dem ehrenamtlichen Wanderführer Leopold auf einsamen Pfaden vorbei an entlegenen Teichen und kleinen Kapellen die umliegenden Wälder durchstreiften. Leopold war besonders stolz darauf auf Wegen zu wandern, die selbst den Einheimischen fremd waren und er genoß es förmlich, daß ihm alle ausgeliefert waren und sich ohne ihm im Wald und Dickicht völlig verirrt hätten.

Nur K. versuchte die abenteuerlichen Routen auf seiner Wanderkarte nachzuvollziehen, kontrollierte den Sonnenstand, schätzte Entfernungen ab und glaubte immer genau zu wissen wo die Gruppe war. Leopold lachte meist nur über den „Herrn Ingenieur mit seiner Karte" und fragte dann meist im größten Dickicht, auf Wegen die gar nicht eingetragen sein konnten nach, ob man noch auf dem richtigen Weg sei. K. war natürlich auch nicht auf den Mund gefallen und fragte dann bei jedem abgebrochenen Ast nach, ob das etwa die Markierung für den Wanderweg war. Erst viel später erzählte ihm Leopold, daß dies wirklich Markierungen waren, da er sich bei den ersten Wanderungen auch gar nicht so sicher war, ob er die Gruppe auch durch das Dickicht bringen würde.

Dies Wanderungen waren immer sehr kurzweilig, da Leopold allerhand Wissenswertes über Land und Leute erzählte, sämtliche Anekdoten von den Schwedenbelagerungen bis zum letzten Räuber der am Galgen seine gerechte Strafe fand wußte und dem über alles eine kleine Geschichte einfiel. K. erkannte natürlich bald, daß da gar nichts stimmen konnte aber das war eigentlich auch egal: die Abwechslung war gegeben, die Kindern die schon müde waren wurden neu motiviert und die Wandergruppe kam rasch voran. Höhepunkt und Ende jeder Wanderung war die Einkehr in einem urigen Landgasthaus mit echten Waldviertler Speisen und lustigen Wirtsleuten.

An manchen Tagen kam sogar der Dampfzug in die Stadt und dies war immer ein besonderes Erlebnis für K. Die Bahnstrecke war ja schon längst aufgelassen aber ein rühriger Verein kümmerte sich darum, daß zumindest ein paar Mal pro Jahr die Bahnstrecke wieder zum Leben erweckt wurde. K. reiste daher schon frühmorgens immer nach Gmünd, um von dort aus die Rückreise mit dem Dampfroß anzutreten. K. war ja kein besonderer Eisenbahnfan und auch kein spezieller Fan von alten Dampflokomotiven, aber er liebte es mit einer Dampflokomotive gemütlich durch die Waldviertler Landschaft zu schnaufen.

Die Gleise waren teilweise schon verwachsen, die Bäume berührten schon fast die kleinen Waggons und K. stand meist auf der Plattform des letzten Waggons und genoß die Fahrt auf seine Weise: es war ihm egal ob die Sonne schien oder ob es regnete: er stand immer auf der Plattform und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft, die herunterfallenden Rußteilchen die ihn bis zur Unkenntlichkeit schwärzten und die vielen Mücken die den Zug begleiteten und ihn regelmäßig das Blut aus seinen Adern saugten: aber er bemerkte sie nicht einmal so war er gefangen und beeindruckt von dieser Landschaft.

In manchen Stationen wurden Erfrischungen oder Sachen von Bauernmärkten angeboten oder man konnte die Lokomotive beim Wassernehmen beobachten – man hatte es ja nicht sonderlich eilig und so war sogar noch ein Besuch in einer Glasschleiferei möglich.

Im Feriendorf selbst wurde ein reichhaltiges Animationsprogramm geboten mit Fußball, Tennis, Bogenschießen und anderen Sportarten und Spielen für die ganze Familie. Sogar eine richtige Theatervorstellung im Strandbad gab es, wo eine Gruppe engagierter Nachwuchsschauspieler immer etwas Heiteres zum Besten gab. Litschau war nicht grade ein Sprungbrett für diese Künstler aber zumindest bedeutete es auch für sie eine willkommene Abwechslung zu den Spielorten vor den Toren der Großstadt. Manche glaubte K. sogar Jahre später in einem Kabarett oder einer Fernsehaufführung wieder zu erkennen.

Obwohl das Waldviertel für sein rauhes Klima bekannt ist war es manchen Tagen so heiß, daß auch der Herrensee oder das Freibecken keine Abkühlung mehr bot. An anderen Tagen konnte es aber wieder vorkommen, daß eine Winterjacke gerade recht gewesen wäre. So war in jedem Fall immer für Abwechslung gesorgt und K. war erstaunt daß die 2 Wochen schon wieder vorüber waren und sie die beschwerliche Rückreise in die Großstadt antreten mußten.

 

Waldviertel oh du liebliches Land
Stehst mit dem Rücken zur tschechischen Wand
Wirkst manchmal rauh und hart,
bist in Wirklichkeit aber herzlich und zart.
Viele Stunden bin ich durch deine Wälder gegangen
Und hab mich an deinen Büschen und Sträuchern verfangen.
Habe die Stille und Einsamkeit genossen
Und war hier doch nie traurig oder verdrossen.
Du hast mir sehr viel Kraft gegeben
Und mich wieder erweckt zu neuem Leben.
Du bedeutest für mich Zufriedenheit und Glück
Ich kehre gern immer wieder zu dir zurück.