Kap 18: Der dunkle Tunnel

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Auch noch so nette und positive Erlebnisse wie in Retz konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß es stetig abwärts ging mit K. Die Landvermesserei bewältigte er ja mit immer größerer Routine, aber darüber hinaus hatte er sich in eine Idee und Projekt verrannt, das ihm zusehends Kopfzerbrechen bereitete. Es ging um EDV, geographische Informationssysteme und Grundstücksdatenbanken: eine Materie also die K. besonders interessierte und wo er glaubte etwas beitragen, bewegen und verändern zu können.

Seit dem ersten Tage bei der ÖVU hatte er manchmal nur losen, teilweise aber auch sehr engen Kontakt mit der Projektgruppe „Skepsis", die sehr engagiert aber doch auch relativ selbstherrlich und abgehoben in einer neuen Materie mit sehr innovativem Touch agierte. Man holte sich Informationen wo es ging, war aber äußerst penibel darauf bedacht, sich von niemanden und vor allem nicht von K., der offensichtlich auch etwas von dieser Materie verstand, in die Karten schauen zu lassen. Sogar die heilige EDV-Abteilung mitsamt Kollegen Groll war machtlos gegen die neuen Stars, denen zu Beginn die Herzen der gesamten Baudirektion zuflogen .

Auch K. erwartete sich von diesem Projekt einiges, wollte unbedingt mitmischen und auch mögliche Früchte ernten. Er glaubte seine Stellung verbessern zu können, indem er einen mehrwöchigen Lehrgang an der Uni belegte und er brachte es sogar gemeinsam mit seinem alten Weggefährten Hubert zum ersten „akademisch geprüften Geoinformationstechniker" : für „Skepsis" war das alles aber zuwenig. „K. das ist ja alles sehr interessant aber wir sind halt schon etwas weiter" bekam er oft zu hören. Gemeinsam mit Hubert diskutierte er dann stundenlang, verstand die Welt nicht mehr und verfluchte die ÖVU zusammen mit der„Skepsis"-Gruppe.

Da niemand Verständnis für diesen Kurs hatte bzw. diesen genehmigen wollte, nahm sich K. mehrere Wochen Urlaub, beglich die nicht gerade billige Kursgebühr aus eigener Tasche, ging zu Vorlesungen und Übungen und absolvierte erfolgreich alle erforderlichen Prüfungen. Als die Personalabteilung von der Sache Wind bekam, wurde er sofort in die Generaldirektion beordert und nach allen Regeln der Kunst beschimpft und belehrt: „K. was haben sie sich dabei gedacht - wissen Sie nicht wozu ein Erholungsurlaub dient?" oder „K. kennen Sie den Dienstweg nicht – wollen Sie ein Disziplinarverfahren?".

Am Ende zeigte sich der Personalchef aber doch einsichtig und er versprach sogar einen Weg zu suchen um K. die Kurskosten zu ersetzen: „aber natürlich nur 3/4, denn Strafe muß sein und Sie müssen mir natürlich versprechen, dass so eine Undiszipliniertheit nicht mehr vorkommt".

K. begann in dieser Zeit sogar lange Briefe an den Generaldirektor zu schreiben, weil er mit der Vorgangsweise bei „Skepsis" nicht einverstanden war, die Projektziele gefährdet sah und einfach der Meinung war, daß man auf ihn als Fachmann zu wenig hörte. Wie schwer hatte er sich früher bei seinen Liebesbriefen getan und wie leicht gingen diese Briefe von der Hand – leider muß man sagen.

Er bekam auch immer wieder Antworten wo man ihm für das große Engagement recht herzlich dankte und damit zu weiteren Ergüssen anspornte – irgendwie sah er sich fast schon in der Rolle eines Unternehmensberaters. Erst später erfuhr K. daß wochenlang fast die gesamte Bauabteilung damit beschäftigt war, Stellungnahmen zu den Vorwürfen und zum leidigen Thema „K." abzugeben. Er war damals sicherlich ohne sein Wissen die bestgehasste Person in der gesamten Abteilung und als verrückter Briefeschreiber weit über seinen unmittelbaren Wirkungsbereich hinaus bekannt.

Einmal bekam er sogar einen gutgemeinte Rat „K. solche Briefe kann man natürlich schreiben aber abschicken sollte man sie halt nicht".

Und so bekam er erstmals wirklich das zu spüren was man heute als „Mobbing" bezeichnet: man ließ ihn oft bewußt einen Schritt nach vorne machen, um ihn dann gleich wieder zwei Schritte zurückzustoßen – und man machte das ganz elegant und ohne großes Aufsehen.

Der immer nach vorne Strebende verlor zusehends die Freude an seiner Arbeit – es war ihm alles irgendwie egal geworden - aber doch nicht so egal, daß er sich nicht über jede Kleinigkeit so aufregen konnte, daß er sofort leichtes Herzrasen und Übelkeit bekam.

Diese negative Grundeinstellung erzeugte negative Gedanken, die ihn Tag und Nacht verfolgten. Er hatte das Gefühl mit 100 Prozent zu arbeiten aber praktisch überhaupt keinen Erfolg zu haben. Alles erschien ihm aussichtslos, niemand konnte ihn trösten weder beruflich noch privat: nicht Herb, nicht seine Kollegen und auch nicht Angelika oder seine Kinder - es ging unaufhörlich und immer rascher bergab, immer rascher hinein in den dunklen Tunnel.

Einmal machte er noch den Versuch auf andere Gedanken zu kommen und wollte mit seiner Angelika anläßlich seines 35. Geburtstages ein Theaterstück besuchen: bereits einmal hat der das „Phantom der Oper" gesehen und schon damals hatte ihm das Stück sehr gut gefallen und diesmal sollte sogar seine Schulkollegin Luzia die Hauptrolle spielen.

Ja Luzia hatte es zu etwas gebracht: K. konnte sich noch gut erinnern alle er sie wie viele seiner Freunde in den Schulpausen anhimmelte und manchmal sogar schien es ihm als ob sie seinen Blick erwiderte – aber sie war schon damals unerreichbar für ihn. Und jetzt stand sie auf der Bühne und war der große Star des Ensembles – und wo war K.?

Wie immer fuhren K. und Angelika mit der U-Bahn zum Theater und wie immer hatte die U-Bahn etwas Erdrückendes. K. mochte keine Tunnels und immer wenn die U-Bahn in die Röhre einfuhr hatte er ein Gefühl des Unbehagens. Diesmal nahm er offenbar alles Negative besonders deutlich wahr, ja er sog es förmlich auf.

Im Zug sah er sich und seine Angelika von Betrunkenen geradezu bedroht, obwohl sie eigentlich nur vor sich hinstarrten und offensichtlich bedauerten, daß die Bierdosen schon wieder leer waren. Auch in der Station sah er Drogensüchtige herumhängen und es schien ihm als ob er und Angelika durch ein Spalier von Drogensüchtigen und Betrunkenen taumelten immer auch noch bedroht durch die achtlos weggeworfenen teilweise noch blutigen Spritzen. Die Nacht war diesmal auch besonders dunkel, die Straße zum Theater diesmal besonders schlecht beleuchtet – Angst stieg hoch und K. hatte es eilig zum Theater zu gelangen.

Dort angekommen bemerkte er zwar auch seine Schweißausbrüche und dieses unerklärliche Herzrasen aber er deutete es noch als Reaktion auf das hastige Gehen und mit 35 Jahren – oh Gott schon 35 – war man ja auch nimmer der Jüngste.

Als sie dann die Garderobe abgelegt und ihre Plätze eingenommen hatten, verstärkte sich dieses Gefühl noch und K. achtete kaum noch auf Luzia, die heute unendlich bezaubernd und ganz anders als vor 18 Jahren aussah und mit ihrer Stimme bald das Publikum im Griff hatte.

Er nahm nur noch den riesigen Kronleuchter wahr, der im ersten Akt von der Decke abgeseilt wurde, bevor dieses unbestimmte Angstgefühl den ganzen Körper ergriff. Er kämpfte verbissen dagegen an, wollte sich ja keine Blöße geben aber er war absolut machtlos gegen diese schlimme Angst die sich hin zur Panik steigerte. Die eher düstere und gespenstischen Atmosphäre des Stücks verstärkte diese Gefühle.

K. bekam nun Todesangst: er spürte und vermutete daß er nun seinen Einsatz übertrieben hatte, einen Einsatz der ohnehin nie gewürdigt wurde und der dazu geführt hatte, daß er seine Familie vernachlässigt hatte und nun war unter Umständen alles aus und vorbei. Das Herzrasen wurde nun unbändig und er meinte erstickten zu müssen - nun konnte er es auch vor Angelika nicht mehr verbergen. Sie versuchte ihn noch zu beruhigen, doch alle Versuche halfen nichts: er mußte gemeinsam mit ihr den Zuschauerraum verlassen.

Die Dame an der Abendkasse wollte sogar einen Arzt herbeirufen als sie dieses blasse Häufchen Elend dem es offensichtlich nicht besonders gut ging sah. K. schleppte sich mit letzter Kraft zum eilig herbeigerufenen Taxi und hatte nur einen Wunsch: sofort nach Hause zurück, zurück an den vertrauten Ort, ausruhen, schlafen und auf eine Besserung hoffen.

Doch viel besserte sich sein Zustand auch am nächsten Tag nicht und daher suchte er sofort seinen Hausarzt auf. Dieser schickte ihn sofort in diverse Labors, zum Internisten und anderen Spezialisten, um abzuklären ob eine organische Ursache vorlag. Irgendwie hatte K. sogar gehofft, daß ein organisches Leiden Grund für seinen Anfälle im Theater war, doch der Internist konnte nichts finden und dies bereitete ihm eher noch zusätzliche Sorgen. Was war es dann? Drohte er denn verrückt zu werden? War er gar geisteskrank?

Der Hauarzt riet ihm auf jeden Fall einige Tage zu entspannen, doch egal was er auch machte: immer wieder überfielen ihn diese Panikattacken. Ohne ersichtlichen Grund meist in der Ruhephase bekam er plötzlich Angst, Panik und ein Gefühl der Aussichtslosigkeit. Er meinte manchmal gar nicht er selbst zu sein, neben sich zu stehen, alles war unwirklich und dies bereitete ihm wieder Angst und die Spirale drehte sich weiter.

Zu diesem Zeitpunkt erkannte K. noch nicht alle Zusammenhänge, er dachte doch an organische Ursachen die sich wieder langsam bessern würden, er arbeitete auch viel weniger (mehr war auch gar nicht möglich) und das tat ihm gut. Er begann wieder langsam, ganz langsam in sein altes Leben zurückzufinden, die Angstattacken kamen in immer längeren Intervallen und verschwanden bald völlig und auch die damit verbundene Beschwerden und nach mehreren Wochen war er fast wieder der alte.

Doch K. hatte diesmal noch nicht wirklich etwas daraus gelernt. Er konzentrierte sich bald wieder ohne Rücksicht auf Verluste voll auf seine Arbeit und war unermüdlich in seinen Bestrebungen gegen die Windmühlen weiter anzukämpfen.