Kap 14: Ausbildung in Hörth

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Nachdem sich nun beruflich doch einiges zum Besseren gewendet hatte und K. auch gegen das lauteste nächtliche Schreien seiner kleinen Tochter immun geworden war, kam der längst erwartete und gleichzeitig fast gefürchtete Einberufungsbefehl ins Ausbildungslager Hörth. K. der sich bereits 12 Jahre durch Volksschule und Gymnasium gekämpft hatte und anschließend so nebenbei auch noch ein Studium abgelegt hatte, mußte es jetzt der ÖVU erst recht beweisen, daß er würdig war für diese alte, große, in der Zeit des Kaisers in Hochblüte befindliche Unternehmen zu arbeiten.

Akademiker konnte man ja leicht werden in Österreich, aber ein echter ÖVU-ler zu werden war etwas anderes. Mehreren Kursen in Wien folgte nun sozusagen als Höhepunkt der mehrwöchige Kurs in Wörth.

Gerade als K. erstmals einen Sinn in seiner Tätigkeit bei der ÖVU sah und ihm die Arbeit erstmals fast Spaß machte wurde er für 9 ½ Wochen nach Hörth abkommandiert.

"9 ½ Wochen", sagte ihm sein "Basic Instinct", sind ziemlich lange aber "Stalingrad" war sicher härter und "Auch wenn der Postmann 2x klingelt" wußte er, daß ihm Angelika in der Zwischenzeit treu bleiben würde. Manchmal war er verzweifelt und dachte "Nicht ohne meine Tochter" und manchmal wäre er lieber "Spurlos" verschwunden.

Aber er wußte auch: die Zeiten eines "Schüler Gerber" waren vorbei, seine "Akte" würden auch während dieser Zeit sauber bleiben, gegen die "Firma" konnte man ohnehin nichts ausrichten - auch wenn er manchmal mit "Enthüllung" drohte.

Man hatte K. schon viel über Hörth erzählt. Die Ausbildungsstätte liegt gänzlich abgeschieden in einer sehr trostlosen Gegend nicht unweit vom Ende der Welt, Hörth gleicht einer Kaserne, in Hörth herrscht Zucht und Ordnung und ganz wichtig: in Hörth herrscht um 10 Uhr Bettruhe. K. lächelte meist über diese Erzählungen und unterschätzte wie so oft die Situation, weil er sich einfach nicht vorstellen konnte, daß in der heutigen Zeit derartige Zustände möglich waren - aber es sollte wie so oft noch schlimmer kommen.

In Hörth angekommen erhielt er sofort ein Zimmer mit mehreren anderen Kollegen zugeteilt: K. hatte natürlich überhaupt nichts gegen diese Kollegen – oder besser gesagt Leidensgenossen – aber er betrachtete doch das alles als starken Eingriff in seine Intimsphäre. Für K. der bei seinen zugegeben wenigen Dienstreisen an der Uni immer relativ bequem in netten Hotels nächtigte war das alles doch eine große Umstellung.

Da er von der Fahrt und den ersten Eindrücken noch etwas müde war, war es ihm auch gar nicht abgefallen als er um 22 Uhr dezent darauf hingewiesen wurde, sich doch endlich zur wohlverdienten Ruhe zu begeben.

Am nächsten Tag wurden dann die wichtigsten Skripten ausgegeben – K. mußte mehrmals den langen Weg zur Ausgabestelle zurücklegen, um die ca. 100 Skripten in sein Zimmer zu schleppen und zu verstauen. Da dämmerte es K. erstmals, daß die Sache wohl nicht ganz lustig werden würde.

Bei der Begrüßung durch den Schulleiter Fickerl wurde viel von Pünktlichkeit im Unterricht, der Wichtigkeit des ständigen Mitlernens, dem strikten Heimfahrverbot unter der Woche, der rechtzeitigen Rückkehr in die Unterkunft gesprochen und die Wichtigkeit der Bettruhe um 22 Uhr mehrmals mich Nachdruck betont.

K. war also wieder in der Schule, nein viel schlimmer: er war im Internat oder noch schlimmer: er war in einer Kaserne. Und an Kasernen hatte K. wahrlich keine guten Erinnerungen. Nur ungern erinnerte er sich an seine Zeit beim Militär, die andauernden Probleme mit seinen Vorgesetzten, die sinnlosen Versuche des Kaderpersonals den jungen Soldaten Gehorsam einzutrichtern, mit aller Gewalt ihren Willen gemeinsam mit dem Rückrat zu brechen, die sinnlosesten Tätigkeiten unter dem Deckmantel der Disziplin auszuführen und die unendlichen Tage und Nächte des gemeinsamen Lagerkollers.

Mit seinen 32 Lenzen war K. der älteste und deswegen traf ihn wahrscheinlich alles viel härter als die jüngeren Kollegen um die 20. Die Atmosphäre in Hörth bereitete ihm unendliches Unbehagen, aber er hatte schon soviel erduldet und er hatte auch dies hier zu erdulden – aber sicher nicht ganz ohne Widerspruch.

K. der selbst jahrelang an der Uni nach bestem Wissen und Gewissen vorgetragen hatte, glaubte seinen Augen und Ohren nicht zu trauen, als Kollege Doberwahn seine erste Stunde mit den Worten begann: "Liebe Kollegen: wir haben nicht viel Zeit, ich würde euch daher ersuchen keine Zwischenfragen zu stellen". Anschließend begann er dann das gesamte Inhaltsverzeichnis Wort für Wort herunterzulesen und gleich darauf begann er das Skriptum Wort für Wort vorzulesen. Erst jetzt konnte K. erstmals sehen was eine richtige "Vorlesung" war bzw. woher dieser Begriff kommt – nirgends hatte er bis jetzt derartiges gesehen: das Staunen wich allerdings bald dem Entsetzen.

Doberwahn war offensichtlich auch nicht ganz mit den Techniken eines Overheadprojektors vertraut, denn er nahm die kleinen A4-Zettel mit diversen Zeichnungen und Abbildungen aus seiner Mappe und klebte sie an die Tafel. Sehr zum Gaudium der anderen Kollegen las K. über die Schulter von Doberwahn gebeugt laut vor.

Doberwahn errötete zwar heftig, er ignorierte aber K. und las weiter Wort für Wort vor – ab diesem Zeitpunkt verzichtete er allerdings auf seine hilfreichen Erklärungen an der Tafel. K. der nun gänzlich "Out of Control" war und diesen Vortrag als persönliche Beleidigung ansah, begriff erst viel später, wie sehr er diesen Menschen wahrscheinlich gekränkt hatte: einen Menschen der wahrscheinlich sein bestes gegeben hatte, der keinerlei pädagogische Ausbildung erhalten hatte (die hatte K. übrigens auch an der Uni nie erhalten) und der auf die Meute losgelassen wurde, weil vielleicht kein anderer zu finden war und weil die Auszubildenden das ohnehin alles zu ertragen hatten.

Als der nächste Vortragende in ähnlichem Stil seine Mehrfachintegrale an die Tafel knallte, war die ursprüngliche Kampfeslust bereits einer breiten Resignation gewichen. Die Bauingenieure lächelten etwas mitleidig zu K., denn sie wußten das schon alles von der Uni und K. gab sich erst gar nicht die Mühe das alles zu begreifen, denn er war sich ziemlich sicher, das alles ohnehin nie zu benötigen.

Aber er wußte auch, daß die erfolgreiche Absolvierung dieses Kurses – unabhängig von einer früheren Ausbildung und Qualifikation – die Voraussetzung für die weitere mögliche Karriere war und deshalb schleppte er sich täglich zu den Vorträgen, versuchte so gut es ging aufmerksam zuzuhören, übte nicht mehr soviel Kritik wie zu Beginn und zählte die Tage bis zum Kursende.

Fairerweise muß man hier auch anmerken, daß es auch einige gute, interessante Fachgebiete gab, die teilweise auch ausgezeichnet vorgetragen wurden.

Immer stärker kam der Lagerkoller auf und er beschwor Situationen herauf, die unter anderen Umständen wahrscheinlich ausgeblieben wären. K. war eigentlich ein sehr friedfertiger Mensch und abgesehen von einer kleinen Rauferei im Alter von 15 Jahren, die aber ziemlich rasch durch einen Schlag auf K`s Nase wieder beendet war, gab es nie Tätlichkeiten.

In diesem Kurs hatte es der Wuchtberger aber tatsächlich geschafft, K. solange zu provozieren, bis sich die beiden Aug in Aug gegenüberstanden und zu allem bereit waren. Ständig hatte der erfahrene Bauingenieur mit Praxis in Lybien den Vermesser K. gehänselt, daß er ja vom Baugeschäft keine Ahnung habe und es für ihn hart sei mit solchen Personen gemeinsam in einem Kurs zu sitzen. K. hatte das auch nie bestritten, er wußte wo seine Stärken lagen und war ja auch nicht freiwillig in Hörth.

Aber nun war er bereit es dem eingebildeten, körperlich sicher nicht unterlegenen Bauingenieur mit den Fäusten zu zeigen. Die meisten der herbeigeeilten Kollegen hätten sicher ein Freude an einer kleinen Schlägerei zur Auflockerung des tristen Schulalltags gehabt doch einige Vernünftige konnten die beiden gerade noch rechtzeitig trennen.

Kollege Fickerl, der strenge aber im Vergleich zu seinem Vorgänger angeblich harmlose Schulleiter, hatte von diesen Vorgängen zum Glück nichts bemerkt. Erst vor kurzem war K. zu ihm vorgeladen worden und Fickerl warf ihm vor: "Ich habe sie gestern Abend am Bahnhof gesehen – was haben sie da gemacht". Als K. ihm dann unverblümt und wahrheitsgetreu antwortete "Ich bin nach Hause zu meiner Familie gefahren", war er offensichtlich so überrascht, daß er ihn ohne große Vorwürfe und Androhung von Strafmaßnahmen wieder entließ. Aber er beschloß ab diesem Zeitpunkt K. genauer zu beobachten, nicht zuletzt da erst vor wenigen Tagen das vorschriftswidrig gemachte Bett bei einer Zimmerkontrolle bemängeln mußte.

K. war eigentlich keiner, der Abends viel wegging, aber gerade in Hörth hatte er immer wieder das unbändige Verlangen, die nächstgelegene Diskothek aufzusuchen (übrigens das einzige Lokal in dieser Gegend). Und so überwand er mit einigen Freunden nicht nur die Angst vor dem Verbot, sondern auch den ca. drei Meter hohen Zaun. Für die jüngeren Kollegen war das kein Problem aber K. hatte da etwas mehr Mühe und kam schon zerschunden in der Diskothek an.

Dort mußte er dann feststellen, daß dies sicher nicht sein Abend war und die wenigen jungen Mädchen vergnügten sich mit seinen jüngeren Kollegen. K. erfreute sich trotzdem an der flotten Musik und war irgendwie stolz darauf, die Heimleitung überlistet zu haben. Die zahlreich genossenen alkoholischen Getränke machten es ihm natürlich nicht leichter den Zaun beim Zurückkommen wieder zu überwinden.

Die Kollegen warfen ihn dann irgendwie über das Hindernis und stießen ihn durch das kleine Fenster in der Nähe des Klosetts. Damit war das Abenteuer Diskothek beendet und der zerschundene K. ging fortan wieder pünktlich um 22 Uhr zu Bett.

Nur einmal wollte er eine späte Fußballübertragung sehen, nahm im großen Speisesaal Platz, schaltete den Fernseher ein und bereitete sich auf eine spannendes Spiel vor. Nur fünf Minuten später kam der Nachtportier, schaltete ihn kommentarlos wieder aus und wartete offensichtlich auf die Reaktion. Entgegen seinen üblichen Gepflogenheiten blieb K. auffallend ruhig, schüttelte nur verständnislos den Kopf und verließ den Saal. Irgendwie hatte der Nachtportier dann aber Mitleid und mit spitzbübischem Grinsen lud er K. ein, in sein Zimmer zu kommen und auf seinem Fernseher das Spiel zu verfolgen. K. überlegte noch kurz und nahm dann dankend an.

Die endlosen Wochen in Hörth waren nun vergangen und K. begann sich gewissenhaft auf die kommenden Prüfungen vorzubereiten. Er lernte fast noch mehr als an der Uni, denn irgendwie hatte er das Gefühl, daß man ihm nicht besonders gut gesonnen war.

Der schriftliche Teil war schnell absolviert: teilweise wußte K. wirklich viel, teilweise schrieb er von Kollegen ab und teilweise hatte er die wichtigsten Formeln auf einem kleinen Zettel notiert: beim Schummeln war K. noch etwas unbeholfen, denn er hatte es bis jetzt eigentlich nie nötig gehabt.

Auch die mündliche Prüfung war zu Beginn kein Problem, zuletzt kam allerdings ein Fach, das K. offensichtlich unterschätzt hatte. Diese Fach interessierte K. sogar besonders, denn hier konnte er einiges lernen, was er auch privat brauchen konnte: gerade bei der Wärmedämmung sah er nun seine Fehler mit der Innenisolierung ein. Und er lernte auch was sich technisch so alles abspielt, wenn man ein öffentliches WC betritt. Er lernte alles über radargesteuerte Pißanlagen und andere Möglichkeiten und Techniken in modernen Pissoirs.

Gerade in diesem Fach hätte er nie gedacht Probleme zu bekommen und er lernte auch gewissenhaft die Kapitel der Bauordnung - allerdings die falschen. Und gerade darüber wurde er dann befragt: "Wie groß dürfen die Abstände zu den Stiegenaufgängen sein?", "Wo sind Feuerlöscher anzubringen?". Nach 10 unzureichend beantworteten Fragen fragte K. dann entnervt: "Warum quälen sie mich, ich stelle Ihnen ja auch keine Fragen über das Vermessungswesen".

Er hätte viele Antworten geben können aber diese mit Sicherheit nicht: nach kurzer Beratung zwischen Prüfer und Beisitzer teilte man K. mit, daß er mit einer Nachprüfung zu rechnen habe. Nie - auch nicht an der Uni - wurde K. mit "nicht genügend" oder mit "genügend" beurteilt, im Gymnasium hatte er zuletzt immer aufgezeichneten Erfolg, das Studium hatte er in kürzester Zeit absolviert aber bei der ÖVU war er nun offensichtlich gescheitert

Irgendwie war er aber auch gar nicht unglücklich darüber, denn eine negative Beurteilung war ein willkommener Anlaß die Firma für immer zu verlassen. Er bereitete bereits seine Abschiedsrede vor: es sollte zumindest ein unheimlich starker Abgang werden.

Nach mehrstündigen Verhandlungen öffneten sich dann die Türen der Kommission und man teilte den ungeduldigen Prüflingen mit, daß es alle geschafft hätten. Nur bei K. wäre man sich uneinig gewesen, doch man sei diesmal gnädig gewesen und hätte auch ihn mit "genügend" beurteilt, da er insgesamt gar nicht so schlecht gewesen wäre und ohnehin nur ein Vermesser sei.

K. der immer zu den Besten gehörte mußte nun erstmals erleben wie bitter es sein kann belächelt und gedemütigt zu werden.

Er nahm flüchtig noch die hämischen Blicke Wuchtbergers wahr und war irgendwie fast traurig darüber, daß er nun um seine starke Rede umgefallen war und er nun offensichtlich den Kampf gegen Windmühlen weiterführen mußte.